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Verhöhnung! Entwürdigung!

Was ärgert Politiker aus vielen Parteien an Haackes Projekt eigentlich so?

BERLIN taz ■ Deutsche PolitikerInnen halten sich für sehr kompetent in Sachen Kunst. Jeanne-Claude und Christo durften den Reichstag erst verhüllen, nachdem 1994 im Bundestag darüber abgestimmt worden war. Als eine kleine Arbeit von Joseph Beuys für das Bonner Parlamentsgebäude angekauft wurde, liefen CDU/CSU-Abgeordnete wegen der „Geldverschwendung“ Sturm; zuletzt nannte Antje Vollmer Gerhard Richters Gemälde im Reichstag „Scharlatanerie“. Auch von Hans Haackes Reichstagsprojekt „Der Bevölkerung“ hat die grüne Bundestagsvizepräsidentin keine gute Meinung. Sie hält seine Idee, je einen Zentner Erde aus allen 669 bundesdeutschen Wahlbezirken in einem Beet auszustreuen, das die Neoninschrift „Der Bevölkerung“ trägt, für nichts weiter als „Biokitsch“.

Damit ist Vollmer nicht allein: Insgesamt wollen bislang angeblich 140 Abgeordnete am kommenden Mittwoch bei einer Bundestagssitzung gegen die Realisierung von Haackes Projekt stimmen. Für die einen verhöhnt Haackes Umwidmung die Giebelinschrift „Dem deutschen Volke“ am Portal des Reichstags, andere wollen sich nicht vereinnahmen lassen und nicht Erde nach Berlin transportieren, weil der Trägerdienst ihre „Würde“ in Frage stelle. So sieht es auch Norbert Lammert, der als kulturpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Unterschriften gegen Haackes Kunstwerk gesammelt hat.

Über solcherart Polit-Aktivismus wundern sich vor allem die Vertreter des Kunstbeirats des Bundestages, die Haacke mit der Kunst-am-Bau-Arbeit beauftragt haben. Ihrer Ansicht nach stellt „Der Bevölkerung“ einen permanenten „Denkanstoß für die parlamentarische Demokratie“ dar, wie es Gert Weisskirchen (SPD) im Namen des Kunstbeirats vorgestern in einer Pressemitteilung formuliert hat. Und zu ebendieser parlamentarischen Demokratie gehöre es auch, wenn ein Gremium einen Beschluss aufgrund der ihm zugeschriebenen Kompetenz trifft – schließlich hat Haacke Verträge, die ihn zur Realisierung seiner Arbeit verpflichten. Gerade weil man die verfassungsmäßig festgeschriebene „Freiheit der Kunst“ nicht in einem Verwaltungsakt umbiegen will, wird der Kunstbeirat am Mittwoch auch keinen positiven Gegenantrag stellen. hf

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