ein jahr kosovo-krieg
: Der Tag: Donnerstag, 1. April 1999

WAS IST GERECHTIGKEIT?

Amerika schreit auf. Empörung! Wut! Gekränkter Stolz. Das serbische Staatsfernsehen präsentiert hämisch Christopher Stone, Andrew Ramirez und Steven Gonzales. Die drei haben misshandelte Gesichter. Viel schlimmer: Sie haben Uniformen der US-Armee an. Das verkraftet die Nation, die sich für die stärkste der Welt hält, nicht. Ihre Jungs in den Klauen dieses Diktators da drüben in Europa! Über Nacht steigt der Prozentsatz von US-Amerikanern, die wissen, was das Kosovo ist, von 16 auf 50 Prozent. Die drei Soldaten sind an der makedonisch-jugoslawischen Grenze von einer serbischen Einheit überwältigt worden. „Wir bestehen darauf, dass mit ihnen menschlich umgegangen wird“, greint US-Sprecher James Rubin. So menschlich wie die Nato-Bomber mit den serbischen Bodentruppen? Rudolf Scharping jammert, die Gefangennahme sei „ein klarer Bruch des Völkerrechts“. So wie der Nato-Angriff ohne UN-Mandat? In Kriegszeiten ist Gerechtigkeit genauso subjektiv wie Objektivität, das lehrt der heutige Tag. Westliche Demokratien unterscheiden sich darin nicht von autokratischen Semi-Diktaturen. Wer angreift, wähnt sich im Recht, wer angegriffen wird, sowieso. Krieg kennt keinen Zweifel. har