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Alle Freunde sind noch da

Westberliner Risikobiografien: Die Einstürzenden Neubauten feierten ihren 20. Geburtstag mit einem Konzert in der Columbiahalle

von GERRIT BARTELS

Alexandra sagt, dass sie die Einstürzenden Neubauten schon 1988 in Frankfurt gesehen habe. Da war sie 15 und trug am liebsten schwarze Klamotten, da hing das Logo der Neubauten an ihrer Kinderzimmertür, und die Zillo gehörte zu ihrer Lieblingslektüre.

Als sie dann nach Berlin kam Mitte der Neunziger, hatte es sich mit den Neubauten, und es gab für sie nur noch Clubmusik.

Trotzdem ist Alexandra zum 20. Geburtstag der Band in die Columbiahalle gekommen. Einfach so, um mal zu gucken, wie die Helden von einst jetzt aussehen, natürlich auch der Erinnerung halber, der willkürlichen und unwillkürlichen. So wie ihr geht es vielen im Publikum. Egal ob sie Anfang der Achtziger bei „Kollaps“ eingestiegen sind, Anfang der Neunziger bei „Haus der Lüge“ oder die Band einfach als Teil einer Westberliner Subkultur wahrgenommen haben. Man muss die Neubauten nicht besonders mögen, um sie gut zu kennen. Wer einmal mit ihnen sozialisiert worden ist, in Westberlin sowieso, aber auch anderswo, bleibt ihnen treu – Clubkultur, die neue Mitte oder Minimal Techno haben da zumindest einen Abend lang keine Chance.

Die Freunde und Bekannten der Band, einschließlich der Presse- und Promoleute, tummeln sich im so genannten VIP-Bereich der Columbiahalle, oben auf der Galerie. Dort gibt es freie Getränke, ausgegeben von der Belegschaft des Café Einstein.

Dort guckt man, wer sonst noch Neubauten guckt. Auch das ZDF ist da, wahrscheinlich das Kulturmagazin „Aspekte“, und sucht nach berühmten Freunden. Doch die wollen sich nicht zeigen, vielleicht sind sie auch gar nicht so berühmt. Zudem kommen die Freunde aus Gegenden, in denen man gern unter sich bleibt, aus Schöneberg und Kreuzberg, aus dem Umfeld des Café M in der Goltzstraße, dem Franken in der Oranienstraße und dem PowWow in der Grimmstraße. Sie tragen Anarchist-Academy-T-Shirts, wo drauf steht „Lieber solidarisch als solide arisch sein“, sie heißen Christoph Dreher, Caspar Brötzmann oder Rudi Freese und haben in Bands wie Die Haut, Brötzmann Massaker und Strangemen gespielt. Auch Alfred Hilsberg ist da, Monica Döring, Eva Schütte, Nikki Sudden oder Mrs. Perc.

Für das ZDF aber scheinen sie alle Wesen von anderen Sternen zu sein. Die Spots des Senders gehen erst an, als endlich Ben Becker auftaucht. Mitgebracht hat Becker seine ganze Familie, Monika Hansen, Otto Sander (mit Pferdeschwänzchen) und Meret Becker. Wenigstens die sorgt dann für den vom ZDF so dringend gewünschten Promieffekt. Derweil zeigen die Neubauten auf der Bühne, dass die Zeit bei ihnen kaum Schaden angerichtet hat. Musikalisch nicht – das Konzert ist gut, die alten Stücke funktionieren noch, die neuen sind angenehm ruhig und gelassen.

Und auch sonst nicht: Blixa Bargeld, wie immer im Anzug, sieht anständig und gesund aus und ist Diva und Entertainer. Bei Alex Hacke haben vielleicht die Biere ihre Spuren hinterlassen, den Bass aber malträtiert er so, als ginge es um sein Leben. Andrew Unruh trägt noch immer diese Haartolle, und auch Rudi Moser und Jochen Arbeit machen den Eindruck, als wären sie schon eine Ewigkeit bei den Neubauten.

Von Melancholie keine Spur, mit den Neubauten lässt es sich bestimmt noch einmal zehn Jahre in dieser Stadt leben. Neue Befindlichkeiten hin oder her.

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