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Frühlinkserwachen, Spätrechtseinschlafen und bissige Teletubbies mit Rollstuhl: Der Pflegedienstverein „ambulante dienste“ feierte im SO 36 sein Frühlingsfest

Frühlingserwachen wird bei den „ambulanten diensten e.V.“ gern mit „k“ geschrieben und einem drohenden „Spätrechtseinschlafen“ gegenübergestellt. Am Samstagabend feierte der Pflegedienstverein, der sein Hauptquartier immer noch im Mehringhof hat, sein alljährliches Frühlingsfest; ein Höhepunkt des Vereinslebens, um dessen weitere Ausgestaltung man sich demnächst noch kümmern möchte, so Uta Wehde, die Geschäftsführerin.

1981 wurden die „ambulanten dienste“ (a. d.) von Behinderten und Nichtbehinderten gegründet, um der herrschenden Entmündigung in den Heimen, in denen man die Bedürfnisse von Behinderten gerne aufs unmittelbare „Satt, Trocken und Ruhig“ reduzierte, etwas entgegenzusetzen, Kritik an der Aussonderung in Heimen und Anstalten zu formulieren und ambulante Alternativen zu organisieren. Mag sich in der ideologischen Ausrichtung auch inzwischen einiges geändert haben, was nicht zuletzt mit der Vergrößerung des Pflegedienstes zu tun hat, der mittlerweile 400 Leute beschäftigt: Heute nicht anders als damals geht es darum, „hilfsabhängigen Menschen ein Leben in der eigenen Wohnung und mit selbst bestimmter Lebensgestaltung zu ermöglichen“.

Gegen die absurde Zersplitterung abzurechnender Hilfsleistungen in so genannte Wasch-, Aufsteh-, Koch-, Spül- und wahrscheinlich auch noch Unterhaltungs-Module, setzt man auf Ganzheitlichkeit, gegen die Verwaltung von Behinderten, setzt man auf deren Rechte: bei a. d. können sich die Behinderten die Leute aussuchen, die die „Assistenz“, also Pflege, erbringen sollen. Sie haben das Recht, Termin und den Ablauf der Assistenz zu bestimmen und vor allem auch HelferInnen zu haben, die für alle Tätigkeiten zuständig sind.

Als ehemaliger ZDLer wird man ein bisschen sentimental, wenn man seit langem mal wieder von Rollstuhlfahrern umgeben ist. Die Sentimentalität vergeht allerdings auch wieder beim Gespräch mit Carsten Sporkmann von der HilfenehmerInnenvertretung. Er erinnert einen daran, dass es für Behinderte eher blöde ist, wenn alle paar Wochen ein neuer ZDL auftaucht, den sie anlernen müssen. Deshalb – und natürlich auch wegen der Westberliner Tradition – arbeiten die „ambulanten dienste“ ohne Zivildienstleistende.

Das Frühlingsfest war schön. Vor allem so angenehm ungezwungen. Auf der Bühne macht Jens ganz wunderbar, mal pathetisches, mal ziemlich lustiges Gebärdenkaraoke zu „Ein bisschen Frieden oder „Sag mir wo die Blumen sind“.

Als Gebärdenbeifall gehn alle Hände in die Höhe. Später kommen zwei ziemlich bissige Teletubbies mit und ohne Rollstuhl vorbei und malträtieren zwei Fußgänger mit einem Modulquiz. Am meisten beeindruckte mich eigentlich, wie präzise eine Frau ihren Rollstuhl mit dem Mund steuerte.

Während die einen gegen zehn schon vom Fahrdienst abgeholt wurden, tanzten die anderen noch weiter. Wenn zwei Rollstuhlfahrer miteinander tanzen, erinnert das ein bisschen an Eistanzen. DETLEF KUHLBRODT

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