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Space Marines killen Dunkelelfen

Tag für Tag treffen sich junge, kriegshungrige Helden in Berlin. Sie kämpfen an Tischen für den Heiligen Imperator, würfeln um das Leben ihrer Armeen und verhelfen dem britischen Hersteller ihrer kleinen Figuren zu hohem Umsatz

von FRANZSIKA REICH

Seit mehr als einhundert Jahrhunderten sitzt der Heilige Imperator auf dem goldenen Thron. Wahrscheinlich langweilt er sich. Und verwest und fault und modert. Er ist ein stinkender Leichnam und doch der Meister der Menschheit, der Gebieter über Millionen von Welten. Sagenumwobene Helden führen seine Armeen, die meucheln und schlachten. Täglich opfern sie tausende Seelen. Nur für ihn und weil die Götter das so wollen. Furchtlos, ruhelos, atemlos.

„Wenn hier ein paar tot kommen, haste Pech gehabt“, sagt der erste General und lacht dreckig. „Wieso? Das dauert noch, bis du die Einheit vernichtet hast“, sagt der zweite General. „Von wegen – mit schlappen sechs Attacken“, höhnt der Erste. „Scheiße, ich bin total am Verrecken“, murmelt der Zweite und zieht die Schultern ein.

Draußen verreckt der Stadtverkehr. Autokolonnen bremsen sich die Frankfurter Allee entlang durch den Berliner Bezirk Friedrichshain. Die Männer am Durchgang unter dem Plattenbau verrecken, weil der letzte Tropfen der ersten Flasche schon morgens um acht getrunken war, und nur das Einkaufszentrum gegenüber musste nie verrecken, weil es schon immer tot war.

Im Geschäft zucken die Bataillone noch im letzten Todeskampf – Übermut gegen Besonnenheit, Dunkel gegen Licht, Gut gegen Böse. Düster ragt die Ruine empor. Es ist lange her, dass hier Plutoniumwaffen hergestellt wurden. Das dunkle Zeitalter der Technologie ist seit Jahrhunderten vorbei. Im oberen Stockwerk halten sich die Space Marines verschanzt – gepanzerte Kampfmaschinen mit Motorsägen und Pistolen. Sie sind genetisch verändert, diese Männer unter General I, schwer zu verwunden und haben gute ballistische Fähigkeiten. „Treffen auf vier, fünf und sechs – okay, würde ich sagen“, sagt General I und zückt den Würfel. Die Armee unter General II trägt ihr lilafarbenes Haar im Irokesenschnitt und Krallen statt Händen, weil sie gut nah kämpfen. Sie halten Deckung hinter einem schrottreifen Panzer. „Wäre mir zu teuer, den einfach auseinander zu nehmen“, sagt General II, „fünfzig Mark für Kulisse? Nee.“

Die Fans gieren nach neuen Waffen und Charakteren

Der Tisch ist beklebt mit Kunstrasen in Hellgrün und Olivgrün. Ringsum türmen sich in Regalen die Spielkästen für Einsteiger. Krieger warten in Plastikboxen an Haken auf den General, der sie in seine Armee eingliedern wird, sobald die Eltern das Taschengeld bezahlt haben. 50 Mark im Monat bekommen die beiden Generäle.

Das kleine Geschäft an der Frankfurter Allee ist unscheinbar. „Work Games“, wirbt rot das Schild. Die ausgestellte Kriegsmaschinerie kam aus Nottingham in Großbritannien. Vor vier Jahren erreichten die Krieger und Space-Ritter Germania. Zu dieser Zeit gierte bereits eine große Anhängerschaft nach besseren Preisen, kürzeren Lieferzeiten und Neuheiten: nach neuen Charakteren, Waffen, Spielsystemen.

„Warhammer kennt nach oben keine Grenzen“, sagt Thomas Toss, Geschäftsführer in Deutschland. Inzwischen verkaufen dreizehn Geschäfte in Deutschland das Spiel, in Berlin gleich zwei – eines im Westteil am Ku’damm, eines im Ostteil in Friedrichshain.

Die beiden Generäle gehen rauchen. Die erste Frühlingssonne scheint auf der einen Straßenseite. Sie frieren gegenüber. Ihnen sitzt der Imperator im Nacken. Hinter der Glasscheibe hocken winzige Miniaturen aus Zinn und Plastik – die Space Marines mit den Schulterpolstern, die Dunkelelfen mit ihren mickrigen Körpern, die Orks, die nicht schießen können, die Imperialen, die aussehen wie ganz normale Soldaten. Sie tragen aber andere Waffen als die Nato-Truppen im Kosovo. Mit Laser und Energy.

„Einwandfrei bemalt“, sagt der erste General. Er ist fast 15, hatte einmal eine Freundin und siegte gerade ruhmreich in der ersten Schlacht des Tages. Der Zweite ist auch 14, raucht Lunge und wurde bitter besiegt. Beide verbringen viel Zeit in dem kleinen Laden. Vormittags gehen sie in die 8. Klasse, Realschule, mittags ziehen sie in die Schlacht und abends nach Prenzlauer Berg ins Bett. Schlüsselketten sind in und baumeln am Hosengürtel. Am Hintern sitzt das Handy.

„Zuerst kaufst du dir, wen du cool findest, so vom Aussehen“, sagt der erste General, „danach kapierst du, was du noch brauchst für die Schlagkraft.“ Man braucht viel als General einer Armee, die für den stinkenden Leichnam kämpft. „Schlachten mit 35.000 Punkten – da wird das Ganze zur Leidenschaft“, sagt Geschäftsführer Toss. General I besitzt 1.500 Punkte, General II auch. 1.500 Punkte kosten 700 Mark und schnell den Sieg, weil das nicht viele Seelen sind. „Meine Mutter findet das scheiße, weil ich mein ganzes Geld raushaue“, sagt General I. „Mein Onkel findet das okay. Der hatte es früher mit Indianern“, sagt der Zweite.

Zuerst kamen die Indianer aus Zinn, dann die Barbies und schließlich die Rollenspieler. Die lasen Tolkien, nahmen Würfel und spielten durch Nächte, in denen sie kifften und tranken, und versanken in der Persönlichkeit, die sie in der phantastischen Welt Tolkiens unbesiegbar machen sollte. Besonders Irre verkleideten sich wie ihre Helden und zogen aus in echte Wälder, Berge und Wüsten und lieferten sich echte Schlachten mit Farbkanonen. Weniger Irre sehnten sich nach System. Das erfanden die Spielstrategen in Nottingham.

General I will nach Hause und seine eigene Armee holen, denn im Laden sitzt einer mit Brille, der ihm den Krieg erklärt hat. Es ist ein starker Gegner mit Kämpferstolz und Hundertschaften. Im Profi-Koffer des Feindes warten Kompanien, Bataillone, Armeen. Noch ruhen sie in rotem Schaumstoff. Noch pinselt ihr Gebieter an weiteren. Noch. Er malt – mit blood red für die Blood Angels, mit ultramarines blue für die Space Marines. „Das Blau ist viel zu hell. Ich brauch das Dunkel, hähä“, lacht er böse. Die Figuren sind schwarz oder silbern, wenn sie über den Ladentisch gehen. Die Kriegsherren müssen sie selbst bemalen, nur bemalte Figuren dürfen auf das Schlachtfeld im Geschäft. Den Imperator rächt nur, wer schön ist. Und gebürstet. „Bürsten sieht grausamer aus“, sagt der Feind und bürstet die Rüstung.

General II will nach seiner Jugendweihe nachrüsten

Er ist schon richtig fünfzehn. Hat die Konfirmation hinter sich, sammelt seit einem Jahr und kann furchtlos behaupten: „Meine Armee hat 5.000 Punkte.“ General I und II beginnen hektisch zu rechnen. „Wir sind zu zweit“, flüstert der Zweite. „Der hat einen Dimitrov Sergeant“, knurrt der Erste. „Dreitausend kriegen wir zusammen. Wir müssen verhandeln“, wispert der Zweite. „Solange der keine Tyraniden hat“, raunt der Erste. Der Zweite schüttelt sich. Tyraniden sind das Letzte. „Wenn ich erst mal Jugendweihe habe, dann sieht der aber alt aus“, sagt der erste General. Sie gehen wieder rauchen.

Der Feind ist Profi. Fast. Will sein Hochbett absägen für blutrünstige Schlachten, will Sand streuen in das abgesägte Hochbett, Ruinen postieren im Gelände und fortan und immerdar feindliche Armeen metzeln. General II kommt zum Maltisch. „Wir haben beide noch nicht so viel Erfahrung“, wirbt er um Gerechtigkeit. „Da kann ich nur raten: Zieh dich warm an“, spottet der Feind und pinselt filigran an der Figur. Sein Lachen überdröhnt die verreckenden Autokolonnen auf der Frankfurter Allee. Die Sonne hat sich hinter Wolkentürme verzogen. Kalt lastet dunkler Schatten auf den Schultern der Helden. General I friert und zieht das Basecap tiefer ins Gesicht. General II hat via Handy Football abgesagt. Einsame Helden auf der Frankfurter Allee.

Der Schlachtverlauf wird mit dem Zollstock diskutiert

Im Geschäft drängen inzwischen jede Menge Helden. Um die Tische stehen Trauben erfahrener Kriegsherren und beobachten die Schlachtverläufe. Mit Würfeln und Zollstöcken bewaffnet wägen sie Strategien und Risiken ab, diskutieren Schlachtverlauf und Opferzahlen, studieren Tabellen und fragen die beiden jungen Männer in roten T-Shirts mit Firmenlogo an der Brust um Rat. „In den Ferien ist hier rund um die Uhr Bambule“, sagt der eine. Er sitzt zusammen mit dem bebrillten General am Maltisch, klärt mit ihm die Vorteile der verschiedenen Panzer und färbt die neue Ruine aus Architektenpappe und Balsaholz braun.

Die Verkäufer kämpfen seit vielen Jahren für den Heiligen Imperator. Sie haben klein angefangen, sie sind professionell geworden, sie haben riesige Armeen zu Hause angesammelt und wurden schließlich von der Firma angeworben, damit sie die Unerfahrenen in die Weihen der Kriegskunst einführen. Jeder Verkäufer hat sein Spezialgebiet, dessen Regeln er bis ins letzte Detail beherrscht.

Es gibt hunderte Regeln, tausende, zehntausende. Sie stehen zu Heften gebunden hinter dem Ladentisch und werden immer wieder von den Spielern konsultiert. Die Boltpistole reicht 12 Zoll weit, der Multilaser 36 Zoll, die Tremorkanone 120 Zoll, und bei der Inferno-Kanone steht ein einziges Wort in der Tabellenspalte: „Flammen“. Man würfelt um den Grad der Verwundung.

General I macht Druck. „Wir müssen endlich los und die Armeen holen.“ Doch General II reist durch andere Sphären. Steht mit blauen Lippen vor dem Schaufenster und schwärmt traumversunken vom Event des Jahres, vom Games Day in Köln. Dort werden die Meister dieses Fachs aufeinander prallen, und dem Besten wird der sagenhafte Golden Demon verliehen. „Da bekommst du nur das Beste zu sehen“, sagt General II. Gigantische Kampfszenen sind dort aufgebaut. 4.000 Zombies und Krieger tümmeln sich vor Kulissen, die riesenhaft ein einziges Universum der abertausend Universen des Heiligen Imperators darstellen. Sie gehören dem Museum von Nottingham. „Da sind Leute, die so ihre 1.000 bis 2.000 Figuren im Rücken haben“, sagt der Brillen-General. „Aber ich mit meinem halben Jahr Erfahrung bin auch nicht schlecht.“ Früher malte er zwei Stunden an einer Figur, heute weniger als eine halbe.

Der Nachmittag senkt sich unerbittlich zum Abend. Am Plattenbaudurchgang kreist die fünfte Flasche und Autos bremsen nicht mehr, denn wer still steht, muss nicht bremsen. General I und General II brauchen mindestens die Zeit von drei Figurenbemalungen des Brillen-Generals, bis sie ihre Armeen in Klopapier gebettet, in Kartons verpackt und aus Prenzlauer Berg nach Friedrichshain geführt haben. Sie machen sich auf den Weg, denn minütlich wachsen die feindlichen Armeen. Fragen torpedieren ihren Geist auf dem Weg zur S-Bahn: Wer vermag zu sagen, was im Herzen des Innersten Allerheiligsten liegt? Welch schrecklichen Apparaturen stehen dort, die unseren Herrn am Leben erhalten? Nur die Ewigen Wächter der Custodes sehen es, und sie sind zum Schweigen verschworen. Bloße Sterbliche wie die beiden Generäle können nur vermuten. Doch sie wissen, dass sie vertrauen müssen. So heben sie an zum Gebet, dass sie siegreich durch ihre Schlachten führen wird: „Preiset den Unsterblichen Imperator für seine strenge Führung, denn ohne Ihn sind wir nichts.“

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