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Ecevit will „baba“

Der türkische Ministerpräsident Ecevit kämpft verzweifelt für eine zweite Amtszeit des Präsidenten

ISTANBUL taz ■ Ein Jahr nach seinem großen Wahlerfolg geht es für den türkischen Ministerpräsidenten Bülent Ecevit jetzt um alles oder nichts. Voraussichtlich am Mittwoch wird im Parlament ein Paket zur Verfassungsänderung abgestimmt, mit der Ecevit Präsident Süleyman Demirel eine zweite Amtszeit ermöglichen will. Doch bisher deutet alles darauf hin, dass die im April vorgesehene Präsidentenwahl für den 75-jährigen Ecevit zum Desaster wird und seine bislang überraschend erfolgreiche Koalitionsregierung auseinanderbricht.

Monatelang hatte Ecevit versucht, seine Koalitionspartner von der Mutterlandspartei und der ultranationalistischen MHP zu überzeugen, dass für die Stabilität des Landes eine Fortsetzung der Präsidentschaft Demirels notwendig sei. Da für die Verfassungsänderung aber auch 15 Stimmen aus der Opposition notwendig sind, antichambrierte Ecevit wiederholt mit Tansu Çiller und den islamistischen Schmuddelkindern der Fazilet. Die erste Abstimmung am letzten Mittwoch ging dann aber für Ecevit daneben. Selbst 100 Abgeordnete der Regierungsparteien stimmten nicht zu.

Die meisten Beobachter verstehen nicht, warum Ecevit sein Schicksal so sehr an seinen alten Rivalen Demirel gebunden hat, obwohl Meinungsumfragen seit längerem signalisieren, dass die meisten Wähler von „baba“ Demirel die Nase voll haben. Doch Ecevit gibt nicht auf. Er lässt mit der Fazilet verhandeln und droht seinen Koalitionären mit verlustreichen Neuwahlen.

Ecevits Hauptargument aber ist: Die Türkei kann sich keine Regierungskrise leisten. Gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) hat sich Ankara zu Reformen verpflichtet, die nur in einem stabilen Umfeld realisiert werden können. Die Börsenkurse sind nach Ecevits erster Abstimmungsniederlage bereits abgesackt. Schafft die Türkei die IWF-Vorgaben nicht, steht ihre Kreditwürdigkeit auf dem Spiel.

Bei einer Regierungskrise würden auch die EU-Beitrittsverhandlungen mit Brüssel automatisch wieder auf die lange Bank geschoben, die Skepsis in der EU gegen die Türkei wüchse erneut. Ecevit braucht Demirel auch für die Politik im Transkaukasus und Zentralasien. Der Kampf um die Öl-und Gaspipelines lag bisher in Demirels Zuständigkeit. Ob diese Argumente die Abgeordneten bis zum Mittwochabend überzeugen, weiß niemand. Schon jetzt kann man aber sagen, dass Bundespräsident Johannes Rau, der Mittwochnachmittag in Ankara eintreffen will, denkbar ungelegen kommt. JÜRGEN GOTTSCHLICH

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