: BVG auf Geisterfahrt
Verkehrssenator will durch radikale Tarifsenkung mehr Fahrgäste in Bus und Bahn locken.Dafür bietet er der BVG sogar einen Verlustausgleich. Doch die Verkehrsbetriebe stellen sich stur
von ANNETTE ROLLMANN
Beim Streit um die zukünftigen Nahverkehrstarife verspielt die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) quer durch die Parteien jedes Wohlwollen. Verkehrssenator Peter Strieder (SPD) hat vorgeschlagen, das Monatsticket für die Tarifzonen AB (Stadtgebiet Berlin) probeweise ein Jahr lang für nur 60 Mark monatlich statt für 99 Mark anzubieten. Strieder geht davon aus, dass die Differenz durch die erhoffte höhere Anzahl von 300.000 verkauften Tickets im Jahr wieder eingenommen würde. Sollten die Einahmen dennoch sinken, will der Senat den Fehlbetrag ausgleichen. Doch die BVG stellt sich stur und will die Preise sogar erhöhen.
Der grüne Verkehrsexperte Michael Cramer spricht von „Geisterfahrern“, der CDU-Kollege Alexander Kaczmarek beschreibt den Zustand als Blockadesituation. Strieders Sprecherin fordert die BVG zu „mehr Flexibilität“ auf. „Ein Unternehmen, dass sich am Markt behaupten will, muss sich Sympathien erwerben und auch rechnen können“, so die Sprecherin. Die BVG sagt: „Kein Kommentar.“
Nächste Woche sollen die neuen Preise für die Karten zwischen dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB), dessen Mitglied die BVG ist, und dem Verkehrssenator ausgehandelt werden. Fast alle Angebote zu attraktiver und auf die individuellen Bedürfnisse der Fahrgäste ausgerichteter Angebots- und Tarifgestaltung hat die BVG jedoch ausgeschlagen. Einzig das Semesterticket für Studenten zu 215 Mark pro Halbjahr hat Chancen.
Hintergrund des Streits ist der rasante Fahrgastverlust im öffentlichen Nahverkehr um rund 20 Prozent seit 1995. Die BVG befürchtet nach Angaben der Verkehrsverwaltung, bis zu 300 Millionen Mark zu verlieren, wenn die Preise gesenkt würden.
„Jedes andere Unternehmen hätte bereits Pleite anmelden müssen“, so Cramer. Nur die BVG leiste es sich, die Tarife immer weiter zu erhöhen. Die Grünen fordern, die Tarife insgesamt um 30 Prozent zu senken. Bezahlte eine vierköpfige Familie 1991 für die Tarifzonen ABC im Jahr 1.800 Mark, ist jetzt weit mehr als das Doppelte fällig: nämlich 4.500 Mark. Wenn man die Tarife weiter erhöhe, verliere man noch mehr potenzielle Fahrgäste, so die Experten. Auch bei der Einführung eines Arbeitslosentickets für monatlich 40 Mark habe sich die BVG bis jetzt stur verhalten. Fraktionsübergreifend hatten alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien im September ein solches Tickets gefordert.
CDU-Mann Kaczmarek ist zwar gegen eine generelle Senkung der Preise um 30 Prozent, allerdings plädiert auch er für mehr Flexibilität in der Tarifgestaltung nach dem Vorbild anderer Städte, in denen es etwa verbilligte Monatskarten gibt, die außerhalb der Hauptverkehrzeiten gelten.
Cramer lobt den Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, der 1992 die Tarife um 30 Prozent gesenkt habe. Die Bilanz für die Verkehrsunternehmen stimme trotzdem. „Das ist der Weg für Berlin“, so Cramer. Denn die hohen Fixkosten der BVG von 60 Prozent seien nur durch steigende Fahrgastzahlen zu decken.
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