: Die Geister sind schlau
Tanztheater als Kulturvermittler: das Programm „Performing Arts“ im HdKdW
Nur von dem Gipfel des Berges aus sieht man den ganzen Weg, den man zurückgelegt hat; oben angelangt aber ist man schon nicht mehr dieselbe, die man noch war, als man das Tal durchquerte. Mit diesem Bild beschreibt Sen Hea Ha ihr Verhältnis zur koreanischen Tradition des Schamanismus. Sie hat sichseinen Ritualen als Ethnologin von Los Angeles aus gewidmet, bevor sie seine Kraft der Verwandlung durch den eigenen Leib gehen ließ. Seitdem steht sie in Kontakt mit einem „lot of wandering ghosts“, die über persönliche Familienerinnerungen hinaus weisen in ein mythisches Reich. Dort helfen Kindsgötter, Geister und Hexen, sich jenen Gefühlen von Angst und Trauer zu stellen, mit denen die koreanische Nachkriegsgesellschaft den verlorenen Kontakten zu den Ahnen gegenübersteht.
Wenn Sen Hea Ha ihnen auf der Bühne ihren fragilen Körper mit dem kahlgeschorenen Schädel leiht, ist dies mehr als ein wehmütiger Dialog mit der Vergangenheit. Die Geister sind gewitzt und lassen sie in der Gegenwart nicht im Stich. Johannes Odenthal, der Sen Hea Ha ans Haus der Kulturen der Welt eingeladen hat, erinnern ihre Solos an die deutsche Ausdruckstänzerin Dore Hoyer, die menschliche Leidenschaften als schwere Prüfungen darstellte. Doch an der Stelle des Ringens um Spiritualität im Ausdruckstanz eignet der koreanischen Performerin eine spielerische Leichtigkeit, mit der sie in andere Räume vordringt.
Mit Sen Hea Has „Epiphany“ zu traditioneller koreanischer Musik und einem Requiem von Györgi Ligeti beginnt das Programm „Performing Arts“, das die Ausstellung „Heimat Kunst“ begleitet. Für die Tanztheater ist das Vermitteln zwischen den Kulturen tägliches Brot: Weil die Tänzer der Compagnien heute meist aus verschiedenen Nationen kommen. Und auch, weil die Tänze selbst aus der Situation der Migration hervorgegangen sind. Ihre Körpersprache wehrt sich gegen die Festlegung eines sozialen Ortes am Rande der Gesellschaft. Das gilt besonders für HipHop: Für den 22. April werden 20 Acts aus der HipHop-Szene Berlins im Haus der Kulturen erwartet und eine Gruppe HipHopper aus Deutschland und Frankreich, die an der Elfenbeinküste mit afrikanischen Tänzern zusammen Quellenforschung betrieben. Damit hofft man, HipHop aus den Ecken der Jugendzentren auf Theaterbühnen zu bringen.
Nach Senegal hat Germaine Acogny, die Grande Dame des afrikanischen Tanzes, Susanne Linke für einen Workshop eingeladen. Für die deutsche Tanztheater-Chefin war die Überwindung der europäischen Klischees von Afrika nur durch eine Flucht nach vorn zu leisten. Mit „Le coq est mort“ kommt sie Mitte Mai ans Hebbel-Theater. Dann werden auch Marcia Haydée und Ismael Ivo ihre Fassung von „Tristan und Isolde“ aufführen. Beide stammen aus Brasilien: Aber während Ismael Ivo schon seit zwanzig Jahren den Part des „Anderen“ an Stadttheatern übernimmt, ist die Begegnung mit der letzten Primadonna des Balletts in Deutschland als Mittlerin zwischen den Kulturen ungewohnt.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Sen Hea Ha, am 6. 4., 21 Uhr und 8. 4., 20 Uhr. HdKdW, John-Foster-Dulles-Allee 2, Tiergarten
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