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Lord Uli auf Video

„Die Stadt ist abgestürzt“: Mit dem Dokumentarfilm „Neustadt/Stau – Der Stand der Dinge“ zeigt Thomas Heise rechte Alltagsnormalität

von DETLEF KUHLBRODT

Nach dem Stau geht’s auch noch weiter. Das echte Leben ist wieder modern. Big Brother zeigt die eine Version – ein von allem gesellschaftlichen Gemachtsein bereinigtes Leben mit Menschen, die medienfreundlich und werbekompatibel meinen, sich selbst gemacht zu haben. Thomas Heise zeigt in seinem Film „Neustadt“ eine andere Wirklichkeit. Seine Protagonisten sind durch und durch von den Bedingungen, unter denen sie zu leben haben, geformt. Sie sind Teil einer rechten Alltagsnormalität, die in den Medien im Allgemeinen ignoriert, in billigsten Klischees denunziert oder larmoyant sozialarbeiterisch präsentiert wird.

Sie haben ihre Realität auszuhalten, und Heise respektiert das. Er nähert sich seinen Helden weder mit der Arroganz dessen, der’s besser weiß, noch verfällt er in billige Mitgefühlsduseleien. „Das allgemeine Problem besteht darin, dass ich zunehmend weniger weiß, wie man diese Realität erzählen soll“, so Heise.

Was soll man sagen? Eine Gruppe von Jugendlichen steht vor einer Wand mit Graffiti. In einem Westberliner Film hätte da früher drauf gestanden „Bildet Banden“, „Soldaten sind Mörder“, „Nazis jagen“ usw. In der Plattenbausiedlung Halle-Neustadt heißt es: „Rotfront verrecke“ oder „Mir stinken die Linken“. Heise hätte die Jugendlichen fragen können „Findet ihr das auch?“ oder so. Glücklicherweise tut er es nicht. Er zeigt nur das Bild, das von einer sehr klaren Traurigkeit ist, wie die meisten Bilder seines Films, der nicht zuletzt auch sehr schön ist.

Halb leergefegte, zugige Plätze, Blicke aus dem Busfenster oder in vom Alltag erschöpfte Gesichter, wechseln sich ab mit Interviewpassagen, Szenen rechter Kameradschaftsabende, Gesprächen mit älteren Werktätigen. Jugendliche im Widerstand singen am Lagerfeuer Lieder, in denen „der Führer im Himmel“ auf „unsere treuen Soldaten“ schaut.

Eine junge Frau aus einem Plattenbau erzählt, dass das Haus fast leer sei und sie da auch nicht freiwillig hinziehen würde. Auf die Frage, was ihr gefalle, antwortet sie, dass sie in ihrer Kindheit glücklich gewesen sei. Sie sagt: „Die einzige Angst, die ich habe, wenn ich jemanden kennenlerne, ist dass er gewalttätig wird.“ Von ihrem arbeitslosen Mann wurde sie sieben Jahre lang geschlagen. „Eine Frau schlägt man doch nicht.“ So einen Satz sagt sie, oder dass sie stolz darauf ist, dass auf der Arbeit niemand was bemerkt hat, oder dass sie auch selber mit schuld gewesen sei. Sie verließ ihren Mann nicht, auch wenn er mit allen Mitteln versucht hatte, sie bei ihrer Busfahrerausbildung zu behindern. „Wenn er nüchtern war, war er ganz lieb gewesen.“ Dann nahm er sich das Leben. Ihr achtjähriger Sohn hat Schulprobleme. Der jüngere „ist noch zu retten. Den kriege ich auf alle Fälle noch hin.“

Oder: Ein Ziel hat der bärtige Familienvater, Anfang 50 vielleicht, erreicht. Aus dem Plattenbau ist er mit seiner Familie aufs Land vor der Stadt in eine billige Haushälfte gezogen. Man sieht ihn im Wohnzimmer im Kreis der Familie über „Lord Uli“ reden. Lord Uli gehörte zu der deutschen Antwort auf die Beatles – den Lords – und starb auf der Bühne. Das sei eins seiner großen Jugendidole gewesen, sagt der Mann und dann zu seinem Sohn in der Wohnlandschaft: „Hat sich erledigt. Müssen wir nun auf Video gucken.“ Arbeitslose Rechte, die aus der Szene ausgestiegen sind, erzählen von den Bespitzelungen des MAD und den Versuchen, sie als IM anzuwerben.

Oft gibt es komische Effekte, wie im normalen Leben, wenn man eine Weile ganz normal in einer Kneipe mit jemanden redet, auch über Politik. Plötzlich kommen dann so rechte Parolen, und man weiß nicht, wie man darauf reagieren soll. „Wenn man eine Freundin hat, soll sie auch die Hausarbeit machen“, sagt einer, der inzwischen wie viele seiner alten Kameraden als Sicherheitsmann arbeitet. Leere Flure kommen vorbei. „Ob ich es mal schaffen werde, mein Leben so in den Griff zu kriegen, wie es sich gehört?“ Viel hat sich verändert, seit Thomas Heise in Halle seinen Film „Stau“ über junge Neonazis gedreht hat. „Ich habe anfangs meine Erinnerung an die Stadt von 1992 nicht mit der Realität von 1999 zusammengekriegt. Die Stadt ist abgestürzt.“ Dass es an anderen Stellen in Halle anders aussehen mag, ist egal. „Neustadt“ ist ein sehr wahrhaftiger Film.

„Neustadt/Stau – Der Stand der Dinge“, von heute bis 12.4, ab 20 Uhr im Eiszeit-Kino, Zeughofstr. 5, Kreuzberg Am 8.4. ist Heise bei der Vorführung anwesend

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