piwik no script img

in fußballland CHRISTOPH BIERMANN vor dem Fernseher

HORROR AM MONTAG

Ich saß auf dem Sofa, oder um ehrlich zu sein, hing ich im Sofa oder lag davor auf dem Boden. Oder um ganz ehrlich zu sein, saß ich auf dem Couchtisch, und manchmal kniete ich auch darauf. Gerne wäre ich im Kinderprogramm mit den zugehörigen Körperverrenkungen aufgetreten, um den lieben Kleinen anhand dieses emotionalen Ausnahmezustands den Begriff „sich winden“ zu erklären. Es war nämlich kaum auszuhalten, und was hätte ich darum gegeben, dass der Apparat implodiert, explodiert oder von einem Meteoriten getroffen worden und das Leiden damit vorbei gewesen wäre.

Es gibt einige Aspekte der 2. Liga, die den Abstieg dorthin nicht leicht machen, um es einmal vorsichtig zu formulieren und gar nicht über den Fußball an sich zu reden. Zu den besonders feinen Quälereien gehören Schiedsrichter, die mitunter so schlecht sind, dass man ihrem Irrpfeifen fast schon wieder bewundernd gegenüber steht, weil man meint, einer irritieren wollenden Kunstaktion beizuwohnen, und sich gar nicht mehr vorstellen mag, wie denn wohl Referees in der 3. oder 4. Liga sein mögen. Aber selbst das ist eine Nichtigkeit gegen den größten Horror, den die 2. Liga zu bieten hat, den Schrecken zum Wochenbeginn, das so genannte Montagsspiel.

Schon lange wird von Aktivisten des Fan-Undergrounds so ausdauernd wie erfolglos gegen die montägliche Live-Übertragung eines Spiels aus der zweiten Klasse durch einem Spartensender protestiert. Dabei wird völlig zutreffend behauptet, das Stadionerlebnis würde leiden und zu Gunsten der medialen Präsentation abgewertet, weil viele Anhänger am ersten Tag der Woche nun keine Fahrten in irgendwelche Stadien mehr unternehmen können oder wollen. Ein verschwiegenes, jedoch fast noch wichtigeres Argument ist jedoch, dass alles noch viel schlimmer kommt, wenn jene armen Menschen, die den Weg ins Stadion nicht schaffen, das Spiel ihres Teams am Fernseher verfolgen müssen.

Was man da zu erdulden hat, habe ich im Bermudadreieck zwischen Sofa, Couchtisch und Glotze am eigenen Leib erfahren, den ich in den 90 Minuten des Spiels gerne der medizinischen Forschung zur Verfügung gestellt hätte. Bei der Messung von Blutdruck, Pulsschlag, elektrischer Spannung an Nervenknotenpunkten, Endorphinausstoß, Adrenalinproduktion, Herstellung von Magensäure und unfreiwilligen Kontraktionen der Bauchdecke habe ich Spitzenwerte erreicht, die mir wahrscheinlich einen Ehrenplatz in allen Publikationen des Springer-Verlags (Heidelberg & New York) eingebracht hätten. Und hätte man mir eine Steckdose eingebaut, wäre es kein Problem gewesen, auch noch den Fernseher mit Strom zu versorgen. Diesen in jeder Hinsicht gesundheitsgefährdenden und psychisch deformierenden Zustand konnte ich nur durch die empathische Betreuung („Du bist ja wirklich aufgeregt!“) einer ausgebildeten Krankenschwester ohne Folgeschäden zumindest einigermaßen überstehen.

Etwaige Zwischenrufe, dass Männer winselnde Hypochonder sind, muss ich gleich im Ansatz abwürgen, denn erstens bin ich keiner [Mann?, d. Red.] und zweitens schon gar nicht beim Fußball. Im Stadion jedenfalls gibt es fast keine Probleme, aber wie soll man vor einem Fernseher, und sei der Bildschirm noch so groß, die Gefahr fürs eigene Tor vorausahnen können? Wie kann man die Spieler warnen? Sie hören einen doch nicht! So sitzt, hockt, liegt oder wälzt man sich hilflos und kann nichts tun. Nichts, nichts, nichts! Und wie soll man angesichts des Kathodenstrahls auf eine Mattscheibe ein Gefühl dafür entwickeln, ob sich das Spiel dreht oder wir den Vorsprung halten?

Blind und ausgeschlossen, dem Schicksal ausgeliefert, wehr- und hilflos, das ist nicht auszuhalten und angesichts der durchaus ordentlichen Einschaltquoten wahrscheinlich sogar eine Gefährdung der Volksgesundheit. Auf jeden Fall ist hier eindeutig meine körperliche Unversehrtheit bedroht, weshalb hiermit die dringende Bitte ausgesprochen sei, dass der VfL Bochum – und ganz bestimmt nur wegen der Montagsspiele – möglichst schnell einfach wieder aufsteigt [wie auch Alemannia Aachen, d.Red.].

Fotohinweis:Christoph Biermann, 39, liebt Fußball und schreibt darüber

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen