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Befreit vom traditionellen Muff

Der Landesverband Freikörperkultur Berlin-Brandenburg ist 50 Jahre alt. Am Mittwochabend feierten knapp hundert streng bekleidete Aktivisten der acht Mitgliedervereine. Unter ihnen auch Sonnenanbeter aus Sport und Politik

von KIRSTEN KÜPPERS

Der Festsaal wirkt besonders bieder, die Gäste extrem angezogen. Der Landesverband Freikörperkultur Berlin-Brandenburg e.V. (LFK) feiert gerade sein 50-jähriges Bestehen. Zwar erwartet man nicht gerade, dass Leute mit Namen wie Böger, Wieland oder von Richthofen unbekleidet auf den Tischen tanzen, aber zumindest hätte der Verband ein paar Nacktbadefotos an die Wände pinnen können. Stattdessen lauschen die meisten in brav hochgeschlossenen Anzügen den Festreden, es gibt keinen Schampus, nur Cola aus kleinen Flaschen.

Zum runden Geburtstag lud der 5.000 Mitglieder zählende LFK am Mittwochabend zu einem Empfang mit Orchester und kaltem Buffet ins Haus der Berliner Sportjugend. Jugendliche waren kaum da, in der Pubertät gibt es Schwierigkeiten mit dem Nacktsein. Doch nackt ist hier nichts außer das Neonlicht an der Decke.

Als prominente Freunde der FKK-Bewegung kamen dafür Manfred von Richthofen, Präsident des Deutschen Sportbundes, Klaus Böger (SPD), Senator für Jugend, Schule und Sport, sowie der Grünen-Fraktionssprecher Wolfgang Wieland. Und gestandene FKK-Vereinsmitglieder aus den acht Mitgliedsvereinen.

Immerhin weisen Tischkärtchen wie „Saunafreunde e.V“ oder „Allgemeine Körperkultur Birkenheide e.V“ darauf hin, dass man auf der richtigen Veranstaltung ist. Dass diesen gediegenen mittelalten Damen und Herren jemals Anfeindungen wie „spinnerte Nackerte“ hinterhergerufen wurden, ist kaum vorstellbar.

Der einzige nackte Mann im Saal steht auf dem Titelbild der aktuellen Verbandszeitung in Badelatschen vor einem Wohnwagen. Als „nicht mehr zeitgemäß“, kommentiert eine Aktivistin das Foto – seit 26 Jahren Mitglied im FKK-Club. Zum Jubiläum hätte sie sich „was Ästhetischeres“ gewünscht. Ihr gefällt das Cover einer anderen Vereinspublikation besser. Dort ist immerhin eine kahle Tischtennisplatte abgebildet.

Der Verband blickt auf eine lange Tradition des Sich-rechtfertigen-Müssens für ein ungezwungenes Freizeitverhalten zurück. Noch immer müsse sich die FKK-Bewegung weltweit gegen Anfeindungen verteidigen, sagt Wolfgang Weinreich von der Internationalen Naturisten-Föderation in seiner Laudatio. Besonders in den USA hätten die Menschen noch ein verkrampftes Verhältnis zum eigenen Körper. Nacktheit würde dort immer noch mit Sexualität gleichgesetzt.

Solche Vorurteile gelten in Deutschland längst als veraltet. Mit Voyeuren und reißerischen Berichten in den Boulevarmedien hat die Freikörperkultur jedoch immer mal wieder zu kämpfen. Das war schon in den Anfangsjahren so.

„FKK in den 50er-Jahren war so eine Sache“, erzählt Zeitzeuge Franz Hegebart. „Wir hatten noch keinen Zaun, sondern eine Strohmatte, und mussten ständig Leute aufstellen, die verhinderten, dass wir neugierige Zuschauer bekamen.“

Trotzdem empfanden andere das Vereinsleben gerade in jener Zeit als „muffig“ und „kleinkariert“. Das änderte sich erst mit den späteren internationalen FKK-Camps, wo verschiedene Nationalitäten „beisammensaßen, diskutierten und keinem Deutschen den Krieg vorwarfen“, heißt es von den zwei langjährigen Vereinsmitgliedern „Christa und Werner“.

Dass es bei FKK indes eigentlich um anderes als um das unbekleidete Beisammensein geht, wird an diesem Abend deutlich. Die genutzten Arreale müssen gepflegt und verteidigt werden. So setzte sich Wolfgang Wieland lange Zeit, aber vergeblich, als Aktiver im „Verein der Saunafreunde“ für den Kauf des Heiligensees an die FKK-Gruppe ein.

Bei aller Vereinsmeierei spielt auch der Sport eine zentrale Rolle. Sportpräsident Manfred von Richthofen würdigt in einer humorigen Rede die Leistungen der FKK-Sportgruppen im Tischtennis, Volleyball und Schwimmen. Klaus Böger, selbst Mitglied im Verein für Körperkultur Südwest, ist überzeugt, dass Turnen im FKK-Verein schöner sei als jede Betätigung im Fitness-Club.

Als Nichtkenner der Szene ertappt man sich bei der Frage: Sport treiben auf einem FKK-Gelände? Spielen da alle nackt? Aber auch hier kaum nacktes Fleisch. Sport gilt für Großstadt-Nacktfans stets als Ausgleich für den hektischen Alltag. Zu Beginn der Bewegung war es zwar noch absolut verpönt, sich bekleidet auf einem FKK-Gelände zu bewegen. Die Naturisten unter den FKKlern wehrten sich noch durch restriktive Maßnahmen gegen alle, die ihren Sport bekleidet ausführen wollten.

Ende der 60er-Jahre änderte sich die gesellschaftliche Einstellung zur Nacktheit generell, auch bei den Freiköperkulturisten, nur umgekehrt. Dass man ausgerechnet im liberalen FKK-Verein auf sein fesches Tennisröckchen oder die glamouröse Hotpants verzichten sollte, war nur noch schwer zu begründen. Heutzutage trägt jeder, was er will. Das schützt nicht zuletzt vor Sonnenbrand. Nur im Schwimmbad gilt strenges Nacktbade-Gebot.

Das sorgte bei eine Gruppe von Priesteranwärtern für Verwirrung, die 1980 zum Katholikentag nach Berlin anreisten. Der FKK-Verein Südwest hatte damals den Katholiken Übernachtungsmöglichkeiten auf dem Vereinsgelände angeboten. Allerdings hatten die jungen Priester vermutet, die Abkürzung LFK auf dem Briefkopf der Einladung stünde für „Landesfrauenklinik“. Freilich hatte der empörte Kaplan nach kurzer Zeit Schwierigkeiten, seine Reisegruppe vom Nacktbade-Gelände zu den Katholikentag-Veranstaltungen zu locken, meint der LFK-Vorsitzende Reinhard Walden. Immerhin lächelt er bei dieser Anekdote ein wenig frivol.

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