Kunst für ein besseres Leben

Seinem Motto ist das Künstlerhaus Bethanien nahe der Berliner Mauer treu geblieben. Doch zum 25-jährigenJubiläum stellen die Alternativen fest, dass sie nicht mehr Taktgeber der sozialen Veränderung sein können

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Hart an der Berliner Mauer in Kreuzberg, mitten im größten Migrationsviertel der Stadt zwischen Türken, Griechen und Hausbesetzern, schaute man bis 1989 nicht auf die innerdeutsche Grenze. Das Künstlerhaus Bethanien am Mariannenplatz, knapp hundert Meter von der Mauer gelegen, lag im blinden Fleck des alternativen Bewusstseins. Ein blinder Fleck, der doch eine Vorausetzung der Blüte alternativer Kultur in der Mauerstadt bildete.

Im April blickt das Künstlerhaus auf 25 Jahre alternativer Kultur zurück. Das Jubiläum steht für eine Erfolgsgeschichte der anderen Art, denn die Aktiven griffen eine andere Randlage auf, die soziale Randlage des Ortes in Kreuzberg. In dieser Zeit und mit diesem Blick wurde das Bethanien unverzichtbar als ein Ort, der internationale Ausstrahlung mit Projekten verband, die der Reibung der ansässigen Kulturen und sozialen Milieus endlich ein Gesicht verlieh. Doch exemplarisch scheinen die Probleme der Institution seit der Wiedervereinigung: Die Subventionen tragen noch knapp das Personal, und das Profil verliert an Schärfe neben jüngeren Projekten.

Michael Haerdter, der das Künstlerhaus Anfang der Siebzigerjahre auf den Weg gebracht hat und bis Ende 1999 leitete, nimmt in diesen Tagen Abschied mit einem Rückblick. „Im April vor 25 Jahren gab es die erste spektakuläre Veranstaltung“, erinnert er sich. „Damals war das Kampfkomitee Bethanien noch hier, und wir wussten nicht, ob es zu einer Besetzung des Hauses kommt. Wir hatten Polizeischutz hier.“

In den Anfängen prägte die Diskussion um die Stadterneuerung und um Kunst für eine bessere Gesellschaft die Stimmung. Man redete über Utopien, die Ziele der Autonomen, über das Ende der spätbürgerlichen Kunst und das innovative Pozential einer multikulturellen Gesellschaft.

„Wohnsitz: Nirgendwo“ hieß 1982 eine Ausstellung von Klaus Trappmann, der die Geschichte der Obdachlosenasyle in Berlin und der Vagabunden recherchiert hatte. „Da gab es in den Zwanzigerjahren eine Bruderschaft von Leuten, die bewusst keine feste Bleibe wollten und durch Europa zogen. Maler und Schriftsteller dabei“, erzählt Haerdter. In ihnen fand er eine Vorgeschichte für den Typ des Künstlernomaden, „der die Ortsveränderung als Movens seiner Identität braucht und sich auf Zeit, für ein Projekt, in einem Künstlerhaus niederlässt“.

Dem Wanderkünstler widmet er die Ausstellung „durchreise“, die am 20. April eröffnet wird. Da erzählen die Künstler von Wanderungen von London nach Canterbury auf den Spuren eines Dichters, von Zeitreisen, von Zugvögeln, von einer mentalen Kartographie des deutsch-polnischen Grenzlandes. Suchbewegungen, die den Sinn der Kunst im sozialen und historischen Kontext neu bestimmen möchten.

Dass die Begegnung mit dem Fremden, oft aus der Not entstanden, zu den produktivsten Impulsen der Moderne gehört, hat das Künstlerhaus immer wieder belegt. Dem argentinischen Tango und seinen Wurzeln in den Volksmusiken der Einwanderer galt 1982 das Projekt „Melancholie der Vorstadt – Tango“, das die noch immer glühende Tangowelle in Berlin mit angeschoben hat. Ähnlich veranlasste das Festival „Butoh – Ein Tanz aus Japan“ 1986 Tänzer aus Berlin zu Expeditionen nach Japan.

1965 war Haerdter als Dramaturg des Schiller Theaters nach Berlin gekommen. Die Arbeit brachte ihm erstens die „hautnahe Einsicht“ in „aufgeblähte Verwaltungsapparate“ und „kostspielige Technik“ und zweitens die Bekanntschaft mit Samuel Beckett. Aus der ersten Erkenntnis erwuchs seine Kritik an der ungerechten Aufteilung öffentlicher Ressourcen zwischen Stadttheatern und freier Szene. Dass die Reformen, die seit dieser Zeit gefordert werden, bis heute nicht umgesetzt wurden, liegt der Berliner Kulturpolitik gerade wieder als brandheißes Thema auf dem Tisch.

Aus Haerdters Bekanntschaft mit Beckett ging ein Projekt hervor, das den Ruhm des Künstlerhauses begründete. Beckett inszenierte dort 1977 mit einer Theatergruppe, die sich in dem kalifornischen Zuchthaus San Quentin gebildet und über das Spiel zur Resozialisierung gefunden hatte, „Krapp's Last Tape“. So wörtlich geht der Wunsch, Kunst möge das Leben zum Besseren wenden, selten in Erfüllung.

„Wichtige Themen aufzugreifen und anzuschieben, bis andere sie übernehmen können“, so sah Haerdter auch die Rolle des Künstlerhauses. Architektur, Literatur und soziokulturelle Projekte verließen nach und nach das Haus. Es wurde stiller um das Bethanien.

Vielleicht hat das Künstlerhaus, das auf seinen Abstand vom Mainstream immer stolz war, seinen eigenen Marktwert unterschätzt und sich zu wenig ins Spiel gebracht, als sich die Kunsttopographie der Stadt rapide veränderte. In New York probiert das PS 1, das kurz nach dem Bethanien in einer alten Schule als Künstlerhaus gegründet wurde und ebenfalls in letzter Zeit in Finanznot geriet, zur Zeit eine Partnerschaft mit dem Museum of Modern Art. Museen aber verkörpern für Haerdter das Gegenteil der Künstlerhausidee.

„All das Wagnis und die Vorläufigkeit, in junge Künstler zu investieren, statt auf bekannte Namen zu setzen“, wollte er nicht aufgeben. Doch dem Ideal einer anpassungsfähigen Werkstatt kann das Künstlerhaus immer schwerer nachkommen. Der Etat, der bei 1,136 Millionen stagniert, ist zu fast neunzig Prozent durch die Personalkosten gebunden. Mit Sponsoren und Stipendiengebern in den Partnerländern erwirtschaftet das Bethanien zwar jährlich eine halbe Million für sein Programm. Doch für größere Projekte reichen die Mittel kaum.