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Ein weicher, grauer Teppich

Ausgerechnet in der schwersten Krise der CDU erlebte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ eine ihrer Glanzstunden, opferte bei der internen Auseinandersetzung aber auch einen ihrer profiliertesten Köpfe. Eine Reise zur Hellerhofstraße 2–4, in das Hauptquartier der Beharrlichkeit

von JENS KÖNIG

Das letzte Mal hat Karl Feldmeyer mit Helmut Kohl am 27. November 1989 gesprochen. Der Kanzler stellte sein deutschlandpolitisches Zehn-Punkte-Programm in einer kleinen, vertraulichen Journalistenrunde vor, Feldmeyer gehörte dazu. Danach wurde er von Kohl nie wieder eingeladen. Was Feldmeyer über ihn und die CDU schrieb, passte dem Bundeskanzler einfach nicht mehr. Karl Feldmeyer war aus dem System Kohl von heute auf morgen entlassen.

Die Folgen dieser kleinen Machtdemonstration des Kanzlers sind heute noch spürbar. Was Feldmeyer über Kohl zu sagen hat, ist so klar, so nüchtern und zugleich so vernichtend, wie man es nur selten hört. Ein „machtpolitischer Triebtäter“ sei Helmut Kohl, sein Verhalten gegenüber Wolfgang Schäubles eine „charakterliche Erbärmlichkeit“, sein Schweigen während der Spendenaffäre ein „ideeller Hochverrat an der Demokratie“. Nein, Lust auf ein Interview mit dem Exkanzler hätte er heute nicht mehr, meint Feldmeyer.

Angesichts solcher Sätze soll ja keiner soll glauben, Feldmeyer entstamme der dicht gestaffelten Abwehrkette gegen Kohl im Spiegel. Karl Feldmeyer ist Parlamentskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seit 1971 Mitglied der Redaktion, mehr als zwei Jahrzehnte in Bonn und jetzt in Berlin zuständig für die CDU-Berichterstattung – mit ausgesprochen guten Verbindungen zu Helmut Kohl, bevor dieser ihn verstieß. Ein unbequemer Insider der Macht sozusagen.

Die Feldmeyers waren in der FAZ bis vor kurzem die Ausnahme. Die Regel waren die Heftys. Georg Paul Hefty ist so etwas wie der Resident der CDU in der Frankfurter Hellerhofstraße, dem Sitz der Zeitung. Er kennt alle bei der CDU, weiß alles über die CDU, verteidigt alles in der CDU. Wenn er schreibt, wird die FAZ zur Prawda. Möchte man mit ihm über dieses Thema reden, kommt man gerade mal bis zur Sekretärin: „Herr Hefty wünscht nicht mit Ihnen zu sprechen.“

Auf die Heftys, auf die FAZ insgesamt konnte sich die CDU noch immer verlassen. Das Feuilleton fiel zwar manchmal aus der Reihe. Die Neoliberalen im Wirtschaftsteil meckerten über den Wohlfahrtsstaat-Sozialismus bei den Christdemokraten. Mitunter stand die Partei bei den Mahnern in Frankfurt selbst unter Zeitgeist-Verdacht. Ansonsten galt, rechts ist rechts, links ist links, und wenn Rechts regierte, war die Welt meistens in Ordnung.

Erst in den letzten drei, vier Jahren kam Unruhe in der Frankfurter Trutzburg. Bis dahin schien die FAZ unveränderlich, sie war, wie der Spiegel schrieb, die „Nivea-Dose unter den Zeitungen“. Aber 1997 und 1999 gingen Friedrich Karl Fromme und Johann Georg Reißmüller, zwei FAZ-Hardliner, in Rente. Jüngere, aufgeklärtere Kollegen folgten an der Spitze des Hauses nach, und dann gewann auch noch ein Sozi die Bundestagswahl. Da gab es plötzlich schon mal den einen oder anderen Schröder-freundlichen Leitartikel.

Und plötzlich der Parteispendenskandal. Ausgerechnet in der schwersten Krise der CDU erlebte die FAZ eine ihrer Glanzstunden. Neutral und kühl bis ins Herz sezierten Karl Feldmeyer und Günter Bannas jede neue Enthüllung in der Affäre. Unerbittlich, manchmal sogar zornig kommentierten Eckhard Fuhr und Günther Nonnenmacher das Versagen des Systems Kohl. Frech und ironisch machten sich Patrick Bahners und und Konrad Adam im Feuilleton über das Machtgebaren des Exkanzlers her. Und mit dem Artikel von Angela Merkel, in dem die Generalsekretärin mit Helmut Kohl brach, hatte die FAZ einen der wichtigsten Texte der ganzen Spendenaffäre im Blatt. Nur Hefty hob immer mal wieder warnend den Zeigefinger, die Aufklärung nicht zu weit zu betreiben.

In Frankfurt, auf den Spuren nach den Motiven für den bemerkenswerten Wandel der FAZ, fällt als Erstes die Abgeschiedenheit der Zeitung auf. Sobald man das Redaktionsgebäude betritt, fühlt man sich wie auf einem anderen Planeten. In der großen Eingangshalle sitzt ein einsamer Pförtner. Man fährt in einem leise surrenden Fahrstuhl nach oben, und der Erste, den man trifft, ist ein weicher, grauer Teppich. Willkommen in der Welt der FAZ! Hier leben über 350 FAZ-Redakteure nach FAZ-Regeln ihr FAZ-Leben. Hier wundern sich die Mitarbeiter immer ein bisschen, was von draußen so zu ihnen dringt. Aber keine Bange: Der graue Teppich schluckt es garantiert.

Frank Schirrmacher, einer von fünf Herausgebern und fürs Feuilleton verantwortlich, wundert sich auch gerade. Zum Beispiel darüber, dass man wissen will, wie sich die kühle Neutralität der FAZ während der Spendenaffäre erklärt. „Ich bitte Sie“, sagt er, „hier geht es um vernünftigen, aufgeklärten Journalismus, um nichts anderes.“ Die nächste Frage, die noch gar nicht gestellt ist, beantwortet er vorsichtshalber gleich mit: „Ich war nie ein Fan von Helmut Kohl.“

Plötzlich wundert man sich selber. Zum Beispiel darüber, dass Schirrmacher sich nicht mehr daran erinnern will, wie Kohl im Hintergrund mit dafür sorgte, dass er, Schirrmacher, trotz des Widerstandes seines Vorgängers Joachim Fest und anderer Herausgeber in die oberste FAZ-Führungsetage gelangte. Erst nach einem Kanzler-Anruf beim damaligen Herausgeber Fritz Ullrich Fack habe dieser seine Vorbehalte gegen Schirrmacher fallen gelassen, erzählen sich die Widersacher in der Redaktion.

Diese kleine Geschichte ist nur ein Beispiel für die Symbiose von Kohl und der FAZ. Das Blatt war natürlich kein Teil des Systems Kohl, aber sie gehörte zu Kohls Welt. Die vielen Leserbriefe, die die Zeitung jetzt erreichen, belegen das. „Wir verstehen ja, dass die Süddeutsche Zeitung oder die taz gegen Kohl hetzen“, schreiben die Leser, „aber warum macht die FAZ da mit?“

Gerade deswegen war es ja ein Glücksfall, dass ausgerechnet diese Zeitung während der CDU-Krise publizistisch reagierte – und nicht parteilich, wie etwa Springers Welt. Dem Bürgertum, das seinem Idol in Bremen und Hamburg noch zugejubelt hat, war wohl nur aus der Mitte seines konservativen Milieus klarzumachen, dass es sich beim Schweigen des Exkanzlers um mehr als nur eine Lappalie handelt.

Günter Nonnenmacher, der für Politik zuständige Herausgeber, und Eckhard Fuhr, Leiter des Ressorts Innenpolitik, geben sich abgebrüht. „Ich bin kein Naivling“, sagt Fuhr. Aber beide FAZ-Chefs räumen ein, dass sie von der Kaltschnäuzigkeit, mit der Kohl Gesetze gebrochen hat, überrascht sind. „Bei der FAZ wird jeder per Arbeitsvertrag verpflichtet, Recht und Gesetz einzuhalten“, meint Nonnenmacher, da sei es ja wohl das Mindeste, diesen Maßstab auch an den Bundeskanzler anzulegen.

Eckhard Fuhr ist nicht gerade das, was man in der Redaktion als Prototyp des FAZ-Redakteurs bezeichnen würde. Er ist ein unabhängiger Geist, der von sich behauptet, dass es ihm egal ist, welche Partei die Macht in Händen hält. Seine Kommentare, in denen er schon mal Schröder lobt und die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts nicht von vornherein ablehnt, werden im eigenen Haus nicht gerade gefeiert. Er gilt als Gegenspieler von Hefty.

Bei Nonnenmacher, der ähnlich offen wie Fuhr über die FAZ plaudert, hat man schon eher das Gefühl, dass in der Frankfurter Hellerhofstraße nicht nur der Weltgeist, sondern auch die Macht zu Hause ist. Im Gespräch lässt er ganz zufällig fallen, dass ihm Schröder letztens dies und jenes erzählte, er mit Merkel über den Zustand der CDU gesprochen hat, dann der Weyrauch anrief und etwas wissen wollte. Nonnenmacher erzählt auch, dass er, Bannas und Hefty sich vor ein paar Wochen zu einem vertraulichen Gespräch mit Kohl getroffen hätten. Der Exkanzler habe die Kommentare in der FAZ nicht mehr verstanden, darüber habe er reden wollen. Ohne konkrete Absichten, versteht sich.

In solchen Momenten wird deutlich, dass die Position der FAZ gegenüber Kohl und der CDU in den vergangenen Monaten hart erkämpft war, auch gegen erbitterten Widerstand in der Redaktion selbst. An manchen Tagen marschieren die alten Bataillone schon wieder. Hefty kommentierte in den letzten Wochen verdächtig oft. Das harte Urteil über Kohls Fehlverhalten wird durch ihn abgeschwächt. Der Exkanzler dürfe nicht zum Outlaw werden, warnt Hefty, und der hessische Ministerpräsident Roland Koch erscheint manchem anderen in der Redaktion am Horizont schon wieder als Hoffnungsträger des konservativen Flügels der CDU.

Zurück in Berlin, lernt man noch eine FAZ-Regel. In der Zeitung geht es nicht immer wie in einem englischen Klub zu: Zerwürfnisse seien immer schwere Zerwürfnisse, heißt es, und von rollenden Köpfen höre man draußen immer erst dann, wenn sie drinnen in der Redaktion längst abgeschlagen sind.

Eckhard Fuhr hat vorige Woche das Handtuch geworfen. Er gibt seinen Ressortleiterposten ab und wechselt als Autor ins Berliner Büro. Die Auseinandersetzungen insbesondere mit Hefty hätten Fuhr, der nicht als der Konfliktfreudigste gilt, mürbe gemacht, heißt es. Einen offiziellen Kommentar dazu gibt es weder von ihm noch von den Herausgebern des Blattes. Auch bei den Gesprächen in Frankfurt war von Auseinandersetzungen keine Rede. Natürlich nicht. Es geht um die FAZ. Da weiß man noch, wie Diskretion buchstabiert wird.

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