: „Erst mal vom Eis“
Der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz zum Streit in der rot-grünen Koalition über geplante Verschärfungen beim neuen Staatsbürgerrecht
Interview: LUKAS WALLRAFF
taz: Heute sollte der Bundesrat die Umsetzung einer rot-grünen Reform ermöglichen – des neuen Staatsbürgerrechts. Nun will Rot-Grün das Thema von der Tagesordnung nehmen. Warum?
Dieter Wiefelspütz: Weil es eine Meinungsverschiedenheit zwischen uns und den Grünen gibt. Die SPD ist überzeugt, dass die Verwaltungsvorschriften zum Staatsangehörigkeitsrecht in ganz Deutschland einheitlich sein sollten. Dazu brauchen wir eine Einigung mit den unionsregierten Bundesländern – und die ist zu 90 Prozent erreicht. Die SPD meint, dass man ertragen kann, wenn 10 Prozent der Vorschriften nicht unseren Vorstellungen entsprechen. Die Grünen sehen das anders, sie meinen, man sollte dann lieber ganz auf gemeinsame Vorschriften verzichten.
Die Grünen kritisieren unter anderem Sprachtests für einbürgerungswillige Ausländer und die Anfrage beim Verfassungsschutz.
Wir wissen, dass die Punkte heikel sind – und werden noch einmal Gespräche mit den unionsregierten Ländern führen. Dabei muss man aber bedenken, dass wir es hier mit Leuten zu tun haben, die eigentlich fundamental gegen das Gesetz waren. Ob die Anliegen der Grünen durchsetzbar sind, kann man einfach noch nicht sagen.
Die Grünen fühlen sich übergangen. Hätte man sie nicht vorher einbeziehen sollen?
Die Vorentscheidung fiel im Kreis der Innenminister, und da sind die Grünen nun mal nicht vertreten. Aber Cem Özdemir und ich wurden als Vertreter unserer beiden Fraktionen immer intensiv informiert – auch wenn manche Grünen das jetzt etwas anders sehen.
Auf jeden Fall ist der Eindruck entstanden: Die erleichterte Einbürgerung, die Rot-Grün stolz verkündet hat, wird durch die Hintertür wieder erschwert.
Es ist legitim, das so zu sehen. Ich sage nur sehr deutlich, ich habe zunächst einmal gar nicht geglaubt, dass wir mit den unionsregierten Ländern überhaupt zu einer Einigung kommen würden, die dem Geist des Gesetzes nicht widersprechen. Ich bewerte das Glas jetzt als dreiviertel voll, die Grünen als überwiegend leer.
Die Vertagung ist von NRW beantragt worden. Füchtet Rot-Grün im Wahlkampf Zoff?
Wahlen sind für uns immer wichtig. Es ist doch wohl erlaubt, auch ein bisschen taktisch zu denken. Das tun alle, und das tun wir auch.
Also könnte es sein, dass man nach der Wahl wieder härter gegenüber den Grünen wird?
Nein, wir wollen, dass das Staatsbürgerrecht auch in der Praxis erfolgreich wird. Das ist ja nicht nur ein grünes Projekt, da steckt auch sozialdemokratisches Herzblut drin.
Sie werden die Verwaltungsvorschriften also nicht gegen die Grünen durchsetzen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir als SPD mit dem Kopf durch die Wand gehen. Das ist schließlich ein Projekt der Koalition. Ohne die Grünen klappt das nicht.
Dann müsste aber jemand nachgeben.
Im äußersten Notfall tritt die Situation ein, dass wir keine gemeinsamen Verwaltungsvorschriften zustande bringen. Dann haben wir ein gutes neues Gesetz, das angewendet werden kann – allerdings mit dem Risiko, dass die Länder eigene Vorschriften erlassen.
Wie lässt sich verhindern, dass etwa Bayern oder Baden-Württemberg die Schrauben anziehen?
Das geht nur, wenn wir im Bundesrat zu einer Einigung kommen. Deshalb ist es mir lieber, wir nehmen das Projekt erst mal vom Eis, als dass ich innerhalb von 48 Stunden hü oder hott sagen muss. Das ganze Projekt ist zu wichtig, um es jetzt an die Wand zu fahren.
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