Der glücklichste Schulleiter Berlins

Die Anne-Frank-Grundschule in Moabit profitiert vom Regierungsumzug. Weil kaum Bonner in das für sie geplante Wohnviertel zogen, dürfen nun die im Umfeld lebenden Kinder in den Neubau. Die sind meist nichtdeutscher Herkunft

von JULIA NAUMANN

Sie ist eine Oase im Großstadtdschungel. Die Wände sind eierschalenfarbe, der Boden lindgrün. Die Flure sind weitläufig, lichtdurchflutet. In den Klassenzimmern gibt es große und kleine Tische, bunte Zeichnungen an den Wänden, viele Spielmöglichkeiten und Kuschelecken. Auf dem Hof sind zahlreiche Klettergerüste aufgebaut – riesige Streichhölzer, auf denen die Kinder herumbalancieren, eine Spinne zum Hochkraxeln. Es gibt eine Laufbahn und Gewächshäuser direkt an der Spree. Der tosende Lärm der Straße ist kaum zu hören. „Wir fühlen uns wohl hier“, sagt Kurt Bohley und grinst zufrieden aus seinem Sessel heraus.

Bohley ist wohl einer der glücklichsten Schulleiter Berlins. Er hat, wovon andere Rektoren nur träumen: eine wirklich gut ausgestatte Schule: ohne verstopfte Klos, ohne schmuddelige Wände, ohne kaputte Stühle und zerkratzte Tische. Anfang Januar ist die Anne-Frank-Grundschule aus der Turmstraße an ihren neuen Standort am Moabiter Werder in die Paulstraße gezogen. Direkt vor der „Schlange“ steht die Schule: die ehemalige Spedition Hamacher wurde umgebaut.

Ursprünglich war die Schule, die 30 Millionen Mark gekostet hat und zur Hälfte vom Bund finanziert wurde, vorrangig für ehemalige Bonner Grundschulkinder von Bundestagsabgeordneten und Beamten vorgesehen. Sie sollten mit ihren Eltern in die schlangenförmigen Wohnbauten ziehen und gleich um die Ecke in die neue Schule gehen. Doch daraus wurde nichts: Nur ein Drittel der 718 Wohnungen ist bisher besetzt, die restlichen werden jetzt auch auf dem freien Markt feilgeboten. Kinder gibt es nur wenige. Zwischenzeitlich war das Gebäude daher auch als Sitz für die Internationale Gesamtschule im Gespräch. Dieser Plan wurde aber wieder verworfen, weil der Bau dafür zu klein ist.

Überflüssiger Leerraumdes Regierungsumzugs

Deshalb beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Tiergarten, dass die Anne-Frank-Grundschule, die sich bisher mit einer Hauptschule ein marodes Gebäude in der Turmstraße teilen musste, in den Prachtbau ziehen dürfe.

Seit dem Umzug ist ein bisschen multikulturelle Realität in das Regierungsviertel eingezogen: Drei Viertel der Anne-Frank-Schüler sind nichtdeutscher Herkunftssprache, es gibt 15 verschiedenen Nationalitäten. Die Schule genießt im Landesschulamt wegen ihrer jahrelangen Streitschlichter-Programme einen sehr guten Ruf. Dennoch gab es auch immer wieder Probleme. So schrieben im vergangenen Jahr deutsche Eltern einen offenen Brief, dass es insbesondere zwischen türkischen und arabischen Jungen und deutschen Mädchen eine Zunahme gewalttätiger Konflikte gebe.

Viele Kinder kommen aus schwierigen Familien, sagt Schulleiter Bohley. Durch den Wegzug von deutschen Familien rund um Turm- und Wilsnacker Straße wären langfristig 90 Prozent der Erstklässler nichtdeutscher Herkunftssprache gewesen. „Das ist zu viel und keine gesunde Mischung mehr“, findet Bohley. Für wirklich guten interkulturellen Unterricht müssten wieder mehr deutsche Kinder an die Schule.

Durch den Umzug wird der Anteil der nichtdeutschen Kinder mittelfristig auf 60 Prozent gesenkt. Im Schulentwicklungsplan sind die Einschulungsbereiche neu zugeschnitten worden, der Moabiter Werder und die Spener Straße kamen neu dazu, andere Straßen fallen weg. Dennoch wurden alle Kinder in die neue Schule mitgenommen und können dort auch bis zum Ende ihrer Grundschulzeit bleiben. Kinder, die weiter weg wohnen, werden mit einem Extrabus zur Schule transportiert. „Das ist Bussing in moderner Form“, sagt Bohley.

Die perfekt ausgestattete Schule hat das Klima unter den SchülerInnen und auch der Lehrerschaft nachhaltig verändert. „Die Kinder sind friedlicher und ruhiger geworden“, hat Vorklassenleiterin Barbara Woita beobachtet. Früher hätten sie sich mehr geprügelt. Der Schulhof biete den Kids sehr viele Möglichkeiten, „sich abzureagieren“. Der alte Hof war betoniert und eng. Auch die Motivation der Lehrer sei gestiegen.

Anfänglich hätten die SchülerInnen sogar ein bisschen Furcht vor dem sauberen, großen Gebäude gehabt, in dem maximal 500 Kinder Platz haben, sagt Lehrerin Annelie Kohl. Doch Respekt ist immer noch zu spüren: Keine Wand ist beschmiert, kein Klo absichtlich mit Papier verstopft. Der Schulleiter hat einen kleine Trick angewandt, damit die Kinder sich heimaltlicher fühlen: Im ganzen Haus wurden in Plexiglas gerahmte, von den Kids gemalte Bilder aufgehängt. „Dadurch erkennen die Kinder sich wieder, und deshalb bleibt die Schule heil“, ist er überzeugt.

Diplomatenkids verstärken das internationale Flair

Mit den wenigen „Neuen“ gibt es keine Konflikte, sagen die Lehrerinnen übereinstimmend. „Das freut mich, obwohl die sozialen Umfelder ganz verschieden sind“, sagt Bohley. 20 Kinder aus der „Schlange“ besuchen die Anne-Frank-Schule. Auch sie tragen zum multikulturellen Flair der Schule bei. Denn unter ihnen sind Kinder von südamerikanischen und osteuropäischen Botschaftern. Das ist auch für Bohley, der seit sieben Jahren Schulleiter ist, eine neue Erfahrung. „Ich bin einer, der nie eine Krawatte trägt.“ Manche Eltern würden ihn deswegen etwas schief angucken.

Bohley ist überzeugt, dass die neue Umgebung die Kinder nachhaltig verändern wird. Sein Rat an die Schulverwaltung: „Gebt den Kindern Räumlichkeiten, in denen sie sich wohl fühlen, dann reduzieren sich die Probleme um die Hälfte.“

Die Anne-Frank-Schule in der Paulstraße 20 B feiert vom 10. bis 12. April ihre offizielle Eröffnung. Jeweils um 19 Uhr wird das Kindermusical „Ferdinand“ aufgeführt.