: „Patente nur für Medikamente“
Dem Bioinformatiker Jens Reich zufolge sollte die Aufdeckung eines in der Natur vorhandenen Sachverhalts nicht kommerzialisierbar sein
Interview WOLFGANG LÖHR
taz: Craig Venter, Chef der US-Firma Celera Genomics, hat verkündet, dass er das menschliche Erbgut zu 99 Prozent entschlüsselt hat. Überrascht es Sie, dass er jetzt die Human Genom Organization, in der 50 Staaten zusammenarbeiten, abgehängt hat?
Jens Reich: Ganz so schnell habe ich das nicht erwartet. Ich habe auch noch meine Zweifel, ob das so stimmt. Erst einmal möchte ich sehen, was da nun bei Celera tatsächlich herausgekommen ist. Ob das wirklich gut sortierte Information ist oder ob Craig Venter – um an der Börse gut herauszukommen – vorzeitig an die Öffentlichkeit gegangen ist.
Was Venter bisher lediglich hat, sind ja nur – bildlich gesprochen – die Namen von Ländern und einigen Städten, die sich auf der Landkarte des menschlichen Genoms befinden. Wie diese aber auf der Karte angeordnet werden, ist noch nicht bekannt. Es sind Zweifel geäußert worden, ob Venter das überhaupt kann.
Der Mann ist ja nun ein Profi, da habe ich keinen Grund zu zweifeln. Aber noch ist kein Ergebnis veröffentlicht worden. Venter hat ja schon eine Reihe von Bakterien entschlüsselt. Die Daten sind auch immer in Science oder anderen Fachzeitschriften publiziert worden, so dass eine Möglichkeit bestand, sich einen Überblick zu verschaffen, was er tatsächlich gemacht hat und wie genau seine Daten sind. In diesem Fall aber, beim menschlichen Genom, liegen nur Pressemitteilungen und Agenturmeldungen vor.
Wenn Venter alle Bausteine der menschlichen Erbsubstanz in seine Datenbank eingespeist hätte, welche Konsequenzen hätte das für das Genom Project?
Diejenigen, die ebenfalls an der Entschlüsselung des Erbgutes arbeiten, würden dann an zweiter Stelle einlaufen. Das ist für die Wissenschaft immer noch interessant, wenn die Daten miteinander verglichen werden können. Die meisten Genomforscher arbeiten aber auch schon am nächsten Schritt. Sie wollen die DNA-Daten verstehen und deuten können, wissen, welche Aufgaben und Funktionen die einzelnen Gene im Körper haben.
Mit der Entschlüsselung der DNA-Abfolge allein ist die Arbeit ja noch nicht getan. Welche sind genau die nächsten Schritte?
Wir wollen nicht nur wissen, wo auf der Landkarte die einzelnen Gene sitzen, sondern auch, welche Substanzen, Eiweiße, die für den Aufbau und die Aufrechterhaltung der Körperfunktionen lebenswichtig sind, sie produzieren. Signalstoffe zum Beispiel. Das herauszufinden ist nicht ganz einfach. Um allein aus der Abfolge der vier Buchstaben A,C,T,G – den einzelnen Bausteinen der DNA – auf die Gene zu schließen, sind Computeranalysen notwendig. Die Baupläne der Eiweiße, die ja im Körper wichtige Aufgaben haben, sind das eigentlich Interessante für die Medizin und vor allem die Pharmaindustrie. Die wollen dann die Eiweiße isolieren, als Medikamente einsetzen oder Substanzen finden, die diese Eiweiße blockieren. Eine Möglichkeit wäre auch, die Gene gezielt zu blockieren oder zu beschleunigen, um Krankheiten zu verhindern oder zu heilen.
Nun hat ja jeder Mensch eine andere genetische Ausstattung.
Das ist richtig. Die vorliegenden Daten sind auch nur ein Standard, ein Muster sozusagen. Die Unterschiede können zum Beispiel wichtig sein, um die Ursachen für Krankheiten zu verstehen. Um die individuellen Unterschiede herauszufinden, können Verwandte untersucht werden oder müssen Patienten mit gesunden Menschen verglichen werden.
Also wäre es auf jeden Fall sinnvoll, die Daten der Celera-Wissenschaftler, die ja nur das Erbgut eines einzelnen Menschen untersucht haben, mit denen des Human Genom Projects, die mit mehren individuellen Genomen arbeiten, zu vergleichen?
Das ist schon deshalb wichtig, um die Fehler herauszufinden. Die Daten haben mit Sicherheit eine hohe Fehlerquote. Wenn noch ein anderer das sequenziert, wird er am Ende nicht unbedingt die gleichen Fehler haben. So kann man zumindest die Stellen, die fraglich sind, eingehender überprüfen. Wenn korrekt gearbeitet worden ist, dann sieht man natürlich auch die ersten Differenzen zwischen Individuen. Bei wichtigen Genen kann das ein Hinweis auf ein erhöhtes Krankheitsrisiko sein.
Es gab bisher erfolglose Verhandlungen zwischen Celera und der Human Genom Organization. Worum ging es da?
Die haben sich zerstritten über die Veröffentlichungen und Zugangsrechte. Venter wollte erst veröffentlichen, wenn er die Patente gesichert hat. Ich denke, er will bei der Suche nach der Funktion der Gene einen Vorsprung haben. Er will verhindern, das ihm andere zuvorkommen. Nach US-amerikanischem Patentrecht kann er die Rohdaten zwar veröffentlichen, ohne den Patentschutz zu gefährden. Aber er will sicherlich auch in Europa Patente anmelden. Unser Patentrecht sieht vor, dass nach einer Veröffentlichung kein Patentschutz mehr gewährt werden darf. In der Vergangenheit hat er das auch schon so gehandhabt. Die Veröffentlichungen kamen, nachdem er sich die Patente gesichert hatte.
Ist in den USA nicht offen, ob Rohdaten patentiert werden dürfen?
Ein großer Teil von Venters Patentanmeldungen sind ja auch umstritten. Es ist immer die Grundfrage: Ist es eine Erfindung oder Entdeckung?
Wann sollten Ihrer Meinung nach Patente möglich sein?
Ich bin da eher ein klassischer Mediziner. Meiner Meinung nach sollten Informationen über den Menschen frei zugänglich sein. Ich sehe auch nicht, dass es spezielle individuelle oder menschliche Gene gibt. Das ist alles so miteinander verbunden. Es gehört im Grunde alles zur Biosphäre. Zum Beispiel das Gen für den Blutfarbstoff, das Globin-Gen. Das ist bei Menschen und Affen und Rindern so wenig unterschiedlich, das man eigentlich sagen kann, wir haben dieses Gen alle gemeinsam. Die kleinen Unterschiede bei den verschiedenen Arten werden vermutlich gar keine große Bedeutung haben. Die Aufdeckung eines in der Natur vorhandenen Sachverhalts sollte eigentlich nicht kommerzialisierbar oder patentierbar sein.
Patente also erst, wenn ein konkretes Produkt vorliegt?
Ein Medikament ja, aber nicht die reine Information. Im Moment ist es ja so, dass sie das durch den Computer jagen, finden Ähnlichkeiten mit Genen, die verwandt sind und über die man schon was weiß, und dann spekulieren sie, dass das Gen auch für das oder jenes wichtig sein kann. Die Patentanmeldungen werden dann sehr breit gestreut. Bei Steuerungsgenen geht das dann so weit, dass alles aufgeführt wird, was in der Medizin eventuell damit gemacht werden könnte. Dazu kommen dann noch die Möglichkeiten in der Tierzucht. Wenn solche Patente durchkommen, könnte man überhaupt nichts mehr in der Medizin machen, ohne Lizenzgebühren zu bezahlen.
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