Nur Leverkusen im Kopf

Die Münchner Bayern haben bemerkt, dass sie aus eigener Kraft nicht Meister werden können, und interessieren sich mehr für den bösen Rivalen als für ihr eigenes 4:0 gegen den SSV Ulm

aus MünchenGERALD KLEFFMANN

Am Samstag, der ein sonniger, fast wolkenfreier Tag in Bayern war, leuchteten im Münchner Olympiastadion viele einheimische Namen auf der Videowand auf. Dies war ja irgendwie zu erwarten gewesen, schließlich traf der FC Bayern München auf den SSV Ulm, wobei Letzterer seit dem Spiel gegen Bayer Leverkusen vor drei Wochen mit dem bemerkenswerten Attribut einer „1:9-Mannschaft“ durch Deutschland reist. Wieso sollten die Schwaben ausgerechnet gegen die Bayern den Gegenbeweis antreten, dachten daher die meisten, und so erwarteten 63.000 Besucher zahlreiche Torschützen auf Seiten der Gastgeber.

Ein wenig Enttäuschung herrschte anfangs aber schon, als zunächst, in streng alphabetischer Ordnung, die Namen sämtlicher Mitglieder des FC Bayern an der Videowand aufgelistet wurden. Also erfuhr man, was man schon immer wissen wollte, nämlich, dass Ludwig Laxhuber ebenso zum Verein gehört wie Heinz-Jürgen Kiesewalter, Gert Mauersberger oder Hans Sattlegger. Immerhin, zwischen den 85.000 Geehrten reihten sich dann doch noch vier aktive Profis ein – Scholl, Sergio, Jancker, Wojciechowski – und so war mit einem überlegenen 4:0 aus bayerischer Sicht der 8. April 2000 vollends veredelt.

Dass bei den Münchnern anschließend trotzdem keine rechte Ruhe einkehrte, lag vor allem an zwei Gründen: Erstens, an Leverkusen. Zweitens, an Manager Uli Hoeneß. Dass Leverkusen gegen Dortmund gewann, konnte man bei den Bayern durchaus akzeptieren. Allerdings nicht das Wie. Torwart Oliver Kahn etwa, der direkt nach dem Schlusspfiff in die Kabine geflüchtet war, um die letzten Spielminuten vom Titelkonkurrenten im Fernsehen zu begutachten, verwies ob der ungestraften Handberührung von Ulf Kirsten im eigenen Strafraum auf „so ein Glück“. Und wenn man dies habe, orakelte Kahn, werde man vermutlich Meister. Gleichzeitig bemerkte er, dass Leverkusen „nervlich Probleme“ hatte und machte darauf aufmerksam, „was wohl in Deutschland passiert wäre, wenn wir so gewonnen hätten“. Die beunruhigende Erkenntnis, dass man aus eigener Kraft nicht mehr deutscher Meister werden kann, plagt die Münchner. Und was vielleicht noch schwerer wiegt: Sie scheinen mit mulmigem Gefühl zu registrieren, dass auch andere Vereine vom Zufall profitieren können.

Dennoch, Erleichterung war bei den Bayern auch zu spüren. Der Druck war schließlich groß, hatte doch Leverkusen als Maßstab ein 9:1 vorgelegt; hatte doch Hoeneß „mindestens vier, fünf Tore“ gefordert; hatten die Münchner zuletzt doch dreimal unentschieden gespielt. 4:0 war für alle Beteiligten akzeptabel und somit konnten sich Spieler wie Effenberg und Fink nach der Partie zufrieden hinstellen, von „wichtigen drei Punkten“ reden und den Glauben an den Titelgewinn verkünden. Andere Bayern freilich wollten den Sieg gegen schwache, bemitleidenswerte Ulmer nicht überbewerten, denn, so Vizepräsident Karl-Heinz Rummenigge, nun sei zu verstehen, wie die gegen Leverkusen „neun Stück kassiert“ hätten. Präsident Franz Beckenbauer ging sogar so weit, zu betonen: „Mit dieser Leistung steigt Ulm wohl ab.“

Letztlich interessierten deren Sorgen aber niemanden in München. Dafür hatte Uli Hoeneß gesorgt. Zu Jens Jeremies und dessen Kritik an der Nationalmannschaft sagte der Manager: „Mir ist einer, der offen sagt, was er denkt, zehnmal lieber als einer, der schweigt.“ Und weiter: „Offensichtlich ist Erich Ribbeck nicht in der Lage, den Laden zusammenzuhalten.“ Natürlich waren das harte Worte, und dass Hoeneß damit die Position von Ribbeck weiter schwächt, ist klar. Aber, vielleicht wollte er auch einfach nur seinen Profi Jeremies stärken. Viel steht auf dem Spiel in den nächsten Wochen: Bundesliga, Pokal, Champions League. Da können sich die Bayern keine Ausfälle und schon gar nicht mentale Ablenkungen leisten. Auch Stefan Effenberg beteiligte sich übrigens an der Diskussion. Sein Tipp: „Immer zu der Meinung stehen, die man äußert.“ Hoffentlich weiß Jeremies, auf wen er da hört.

Bayern München: Kahn – Jeremies – Babbel, Linke – Salihamidzic (84. Tarnat), Fink, Effenberg (70. Santa Cruz), Lizarazu – Sergio (73. Wojciechowski), Jancker, SchollSSV Ulm: Laux – Bodog, Marques, Stadler, Radoki – Scharinger, Maier, Grauer, Kinkel (46. Unsöld) – Leandro, Pleuler (46. Wise) Zuschauer: 63.000; Tore: 1:0 Scholl (21.), 2:0 Sergio (24./Handelfmeter), 3:0 Jancker (62.), 4:0 Wojciechowski (85.)