: Schlittenfahrt am Stausee
A scheene Leich: In Füssen ist Bayerns Ludwig II. aus dem Geist des Marketing auferstanden. Von der VIP-Lounge kann man Neuschwanstein sehen, auf der Musicalbühne wird gejodelt
von IRA MAZZONI
Ein Musical über Ludwig II., den Märchenritter von der traurigen Gestalt, den volkstümlichsten aller Monarchen – ein Sakrileg, ein Skandal? Nein – ein Etikettenschwindel. Ein echt bayerischer Lausbubenstreich. Was der Theatermacher Stephan Babarino und der Komponist Franz Hummel am Freitag in Füssen zur Weltaufführung brachten, ist ein Jux, a Mordsgaudi. Eine schräge Mischung aus romantischem Singspiel und bairisch-diatonischem Jodelwahnsinn. Dabei, was den König betrifft, durchaus würdevoll: ein bekennender Pazifist, verliebt in die Kunst – nicht in Sisi oder schauspielernde Lustknaben. Sein Regierungsziel, in Bayern ein Paradies auf Erden zu schaffen. Dass es das gibt, gehört bis heute zum Selbstverständnis der Landespolitiker. Entsprechend ihr Applaus aus der Königsloge.
Das Singspiel handelt von Visionen, vom Theater, der Musik und dabei dreht sich natürlich alles ums Geld. Das Immobilienlied der Minister – das bayerisch kracherte Gegenstück zu „Money makes the world go around“ – könnte ein echter Ohrwurm werden. Kies, viel Kies war nötig, um den Traum von einer Ludwig-Weihebühne am Originalschauplatz wahr werden zu lassen. Bau und Inszenierung haben 74 Millionen Mark verschlungen. Dass Banken und private Investoren in das Projekt investiert haben, liegt wohl an dem einfachen Erfolgsrezept: Was soll schon noch schief gehen, wenn man ein Opernhaus an einem Kultort baut? Man muss die Pilgerströme nur ein wenig umlenken.
Rund 1,3 Millionen Besucher werden Jahr für Jahr durch das düstere Schlafgemach des Märchenkönigs geführt. 300.000 Gäste braucht das Theater, um wirtschaftlich zu arbeiten. So kommt es, dass eine 14.000-Seelen-Gemeinde, ein Kurstädtchen am Rande der Alpen, mit einem riesigen Theaterneubau aufwarten kann, während in größeren Städten Bühnen fusionieren oder schließen müssen, Orchester und Ensembles aufgelöst werden und selbst Musicals floppen.
Zunächst musste ein Grundstück her, das es nicht gab. Tonnenweise Kies war nötig, um eine 45.000 Quadratmeter große Halbinsel am Rande des Stausees aufzuschütten. So steht das Musicaltheater zwar nicht ganz am Originalschauplatz – den Forggensee gab’s zu Ludwigs Zeiten noch nicht – aber von den Foyers und den Dachterrassen, vom Gartenparterre bis zur VIP-Lounge ist der unverbaubare Fernblick auf die mythisch fernen Schlösser garantiert. Näher dran ging nicht. Die Kulturlandschaft wird von Bayerns Denkmalschützern vor störenden Neubauten geschützt.
Im Winter ist der schöne See zwar eine Schlammwüste, aber im Sommer wird das Theater über einen eigenen Anlegesteg verfügen. Boote werden zur Seerundfahrt ablegen, offene Kutschen werden am Ufer entlang zur Schlössertour aufbrechen. Das neue Freizeitangebot lässt sich beliebig dehnen: Die neuen „Königswelten“ bieten ein Romantik-Restaurant und ein Classic-Café, eine Bierwirtschaft nebst Biergarten, eine 22 Meter lange Champagnerbar, Tagungsräume im Panoramasaal, Backstage-Touren und Shopping-Möglichkeiten: 450 edelste Souvenirs vom Schneegestöber bis zum blitzend blauen Collier liegen dort in Designervitrinen. So weit ist die Schlösser- und Seenverwaltung noch lange nicht. Könnte sein, dass ihr hier ein echter Konkurrent entstanden ist.
Denn die Absicht ist klar: Die „Königswelten“ sollen das Theaterpublikum möglichst ganztägig fesseln. Nach dem dreistündigen Opernabend lohnt sich eine Heimfahrt so und so nicht mehr. Und so reibt sich denn der Bürgermeister, Paul Wengert (SPD), die Hände. Die Hotelbetten in der Kurstadt sind nämlich bisher nur zu 40 Prozent ausgelastet. Jetzt kann er sogar an den Abriss des unrentablen Kurhauses denken. Eine neue Bettenburg soll stattdessen errichtet werden, selbstverständlich von einem privaten Investor. Vier bis fünf Sterne müssen es sein mit viel Ludwigelei. Das Theater wird die Steuerkasse füllen, die Einnahmen aus der Kurtaxe werden steigen, die Umsätze der Wirte und Geschäftsleute auch. Für die Vorstellungen sind die Preise von 85 bis 210 Mark gestaffelt, am Wochenende kosten die Karten sogar zwischen 95 und 230 Mark.
Dreihundert Leute arbeiten am Theater, die meisten Teilzeit an der Garderobe oder in der Gastronomie. Aber wer hätte in Füssen mit Ausbildungsplätzen in einer modernen Marketingabteilung gerechnet oder gar mit einem Praktikum in der Dramaturgie? Das Theater braucht auch Handwerker und Techniker. Die Künstler bringen frischen Wind, etwas Exotik und neue Themen in die Stadt. Vielleicht entsteht ja so etwas wie eine Szene.
Das Besondere an dem Theatercoup: Alles war schon da, made by Ludwig. Da gab es einen nie ausgeführten Plan von Baumeister Gottfried Semper für eine Wagner-Bühne am Münchner Hochufer. Ludwigs Minister waren dagegen. Wagner klaute die Pläne und verwirklichte sie in Bayreuth. Josephine Barbarino adaptierte die Entwürfe erneut für das Musicaltheater in Füssen, verzichtete aber bei ihrem Beton- Funktionsbau auf Plüsch und Blattgold. Aller Prunk gehört dem Original und der Bühne.
Auch die Bühnenbilder von Heinz Hauser waren bereits fertig. Der Kini hatte ehedem Theatermaler für die Realisation seiner Architekturträume engagiert. Jetzt können die Motive als Suffitten dienen. Mehr noch, alle Hauptpersonen des Stücks sind bildlich, zumeist in Fotografien überliefert. So setzt sich das Singspiel aus einer Reihe von Tableaux vivants zusammen. Die Handlung ist nebensächlich. Das berühmte Gemälde von der eisblauen Schlittenfahrt wird sogar mit echten Schimmeln auf der zweitgrößten Drehbühne Deutschlands nachgestellt.
Selbst die Musik ist collagiert. Virtuos hat der Neutöner Hummel das Stück nach der Façon des 19. Jahrhunderts orchestriert. Das gesamte romantische Repertoire wird imitiert, ironisiert und teilweise, wie etwa Wagners Heldenopern, auch persifliert. Dazu wird das Stück bayerisch-volkstümlich mit Stepp-Plattlern und Schnaderhüpferln aufgepeppt. Das Publikum wird ja zu über vierzig Prozent aus Japanern, Amerikaner, Italienern und Preußen bestehen. So ist es auch nicht nebensächlich, dass der schöne Ludwig als Luftschiffer abhebt: Auch Ballonfahrten über die Märchenschlösser können neuerdings im Erlebnispaket über die Ludwig Musical AG gebucht werden.
Mehr Informationen und Karten unter www.ludwigmusical.com
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen