Her mit dem Maulkorb

■ Nach schweren Angriffen eines Pitbulls in Bremerhaven denkt man über Steuern und Maulkörbe nach / Falsche Erziehung, sagen Experten und setzen auf Zucht-Prävention

Bremerhavens Held des Tages hat noch immer schlaflose Nächte. Am Sonntag hatte er sich einen Zweikampf mit einem Pitbull-Terrier gestellt und zwei Kinder samt Mutter vor schwereren Verletzungen bewahrt. Heute bekommt Oliver Gramattke dafür einen Blumenstrauß vom Bürgermeister.

Rund 50.000 Menschen werden jedes Jahr von Hunden gebissen. Jedes dritte Opfer sei ein Kind. Tatsächlich klingt die Kampfhund-Attacke schier unglaublich: Weil der Hundehalter im Krankenhaus lag, hatte eine Nachbarin den zweijährigen Pitbull-Rüden am Sonntag ausgeführt. Dieser sprang trotz „Stachelwürger“ ein sechsjähriges Mädchen an. Wenig später riss er sich los und griff eine Mutter mit zwei Kindern an. Eher zufällig kam Oliver Gramattke vorbei und griff beherzt ein. Der 28-Jährige konnte die Kinder schließlich vor dem Hund im Auto in Sicherheit bringen. Noch immer muss eins der Kinder wegen schwerer Gesichtsverletztungen im Krankenhaus behandelt werden.

Möglicherweise war der zweijährige Rüde abgerichtet, heißt es zwei Tage nach dem Unfall. „Es sei auffällig, dass der Hund allen Betroffenen zuerst ins Gesicht gesprungen ist“, erklärte gestern ein Experte der Nachrichtenagentur dpa. Der Hund soll mehrfach den Besitzer gewechselt haben und stamme womöglich aus einer „versteckten Kampfhundszene“ in Bremerhaven. Dort sollen Hundebesitzer nachts für hohe Startgelder Tiere aufeinander hetzen. Auch der Pitbull trage noch Narben von früheren Kämpfen. Gestern abend wurde der Pitbull im Tierheim eingeschläfert – „an seinem Verhalten hätte sich nichts mehr geändert“, erklärte dazu Hubertus Müller von der Veterinärbehörde.

In Bremerhaven denkt man jetzt über Maulkorb- und Leinenzwang für Kampfhunde nach. „Die Stadt hat gute Gründe, gegen das unkontrollierte Halten solcher Hunde vorzugehen“, erklärt Oberbürgermeister Jörg Schulz (SPD). Auch eine Kampfhundsteuer sei im Gespräch. In Bremen denkt man da nicht anders. Alle gefährlichen Hunde außerhalb des eigenen Wohnraums müssen Maulkorb und Leine tragen, schreibt die Polizeiverordnung von 1992 vor. Die gelte immer noch als vorbildlich, erklärt der Sprecher der Innenbehörde, „denn die ist nicht an bestimmten Rassen festgemacht.“ Auch über Steuern wird nachgedacht.

Wie viel diese Maßnahmen bringen, ist bei Fachleuten allerdings umstritten. Hansjoachim Hackbarth, Leiter des Tierschutzzentrums in Hannover, zum Beispiel meint, dass Steuern nur Geld ins Stadtsäckel bringen, aber aggressives Verhalten nicht verhindern (siehe Interview). In Niedersachsen geht man andere Wege. Hackbarth erarbeitet dort gerade einen Wesenstest für Kampfhunde. Ab Herbst soll die Präventivmaßnahme aggressive Hunde von der Zucht ausschließen.

Denn eigentlich sei nicht der Hund an sich das Problem, sondern die falsche Erziehung. „In den meisten Fällen hat der Besitzer was falsch gemacht“, glaubt Hackbarth. Die bestrafen ihren Hund, ohne das mit etwas zu verknüpfen. „Der arme Kerl weiß dann nicht mal, wofür er bestraft wird.“ Wenn alle Leute eine Ausbildung mit ihrem Hund machen würden, käme es zu solchen Zwischenfällen nicht.

Gerade der jetzige Fall wäre vermeidbar gewesen, sagt Hackbarth. Erster Knackpunkt sei, dass eine fremde Person das Tier ausgeführt habe. „Bei einem Fremden stimmt die Rangordnung nicht.“ Da mache das Tier was es will. Gerade deswegen wäre ein Maulkorb Pflicht gewesen. „Wenn man den Hund nicht gut kennt, hätte man einen Maulkorb als Präventivmaßnahme umbinden müssen. Das ist doch eigentlich kein Problem.“ pipe