: Vom Kläger zum Angeklagten
Der selbst ernannte Historiker und Holocaust-Leugner David Irving kassierte vor dem Londoner High Court eine Niederlage auf der ganzen Linie
von RALF SOTSCHECK
Der selbst ernannte britische Historiker David Irving hat den Verleumdungsprozess gegen die Autorin Deborah Lipstadt und ihren Verleger Penguin Books gestern vor dem Londoner High Court verloren. Richter Charles Gray bezeichnete den 62-jährigen Geschichtsautor als „Rassisten, Antisemiten und aktiven Holocaust-Leugner, der Umgang mit rechtsextremen Organisationen pflegt“ – eine Niederlage für Irving auf der ganzen Linie. Und dann warf ihm ein Demonstrant auch noch ein Ei ans Jackett.
Irving hatte gegen die US-amerikanische Historikerin Lipstadt geklagt, weil sie ihn 1994 in einem Buch einen „Hitler-Bewunderer“ und „gefährlichen Holocaust-Leugner“ genannt hatte. Irving bezeichnete Lipstadt als Teil einer „gegen mich gerichteten Hetzkampagne“, die darauf abziele, seine Karriere zu zerstören. Nach seiner Niederlage vor Gericht steht Irving nun vor dem finanziellen Ruin; die Kosten für den Prozess, der neun Wochen dauerte, werden sich wohl auf mehr als sechs Millionen Mark belaufen. In die Berufung will er nicht gehen. Das Urteil nannte er „pervers“. Irvings Ruf ist endgültig ruiniert, auch wenn er selbst seine Reputation gestärkt sieht. Schließlich habe er die von der Verteidigung aufgebotenen Experten, darunter der Politologe Hajo Funke von der Freien Universität Berlin, „ganz schön ins Schwitzen“ gebracht, sagte er.
Das jedoch ist ein Irrtum, Irving hatte es den Beklagten leicht gemacht, ihn von Anfang an in die Defensive zu drängen. Stundenlang erläuterte er dem Gericht seine absurden Theorien, die seine Gesinnung offen legten. So bezeichnete er das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau als „Disneyland für Touristen“; die Polen hätten die Gaskammern erst 1948 als Attraktion gebaut, es habe lediglich Desinfektionsräume gegeben. Irving räumte zwar ein, dass die Nazis Juden umgebracht haben, aber das sei nicht systematisch geschehen. Auch bestreitet Irving die Zahl von sechs Millionen getöteten Juden.
Die Verteidigung hielt ihm eine Aussage von 1991 anlässlich eines Vortrags in Kanada vor: „Ich behaupte, dass auf dem Rücksitz von Edward Kennedys Auto in Chappaquiddick mehr Frauen umgekommen sind als in den Gaskammern von Auschwitz.“
In Kanada hatte er sein rechtsradikales Publikum auch auf ein „biologisch interessantes Phänomen“ hingewiesen: Je mehr Jahre vergangen seien, desto mehr Holocaust-Überlebende würden sich zu Wort melden, gab er zum Besten. Die Nummern auf ihren Armen hätten sie sich selbst eintätowiert. Er trage sich mit dem Gedanken, eine „Vereinigung der Auschwitz-Überlebenden, der Überlebenden des Holocaust und anderer Lügner“ zu gründen. Abgekürzt ergeben die Anfangsbuchstaben solcher Irvingscher Hirngespinste im Englischen das Wort „Assholes“, Arschlöcher. Immer wenn David Irving, der ohne Rechtsbeistand angetreten war, mit einer früheren Aussage konfrontiert wurde, die selbst er nicht mehr aufrechterhalten konnte, schob er das auf seinen damaligen Informationsstand.
Richter Charles Gray, der ihm während des Prozesses ein „beispielloses Wissen über den Zweiten Weltkrieg“ bescheinigt und ihn als „tüchtig und intelligent“ bezeichnet hatte, sagte in seiner Urteilsbegründung, Irving sei „ein Hitler-Partisan, der die Geschichte verdreht, um den deutschen Diktator in einem besseren Licht erscheinen zu lassen“. Dabei schrecke er auch vor der Fälschung von Fakten nicht zurück.
Die israelische Zeitung Jerusalem Post sah das Gerichtsverfahren als „meistbeachteten Holocaust-Prozess seit Adolf Eichmann“ an, die israelische Regierung hatte Eichmanns fast 40 Jahre unter Verschluss gehaltene Tagebücher freigegeben, um zu beweisen, dass der Holocaust stattgefunden hat. Die israelische Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem wertete das Urteil als Erfolg gegen den Neofaschismus.
Der Präsident der Vereinigung britischer Juden, Eldred Tabachnik, sagte: „Wir sind zufrieden, dass David Irvings Klage gegen Professor Lipstadt und ihren Verleger Penguin von den britischen Gerichten so deutlich zurückgewiesen worden ist. Das Urteil beweist, dass David Irving ein Geschichtsfälscher ist. Irving gehört zu den wenigen Holocaust-Leugnern, die den Nationalsozialismus wieder aufleben lassen wollen, indem sie die systematische Vernichtung der europäischen Juden abstreiten. Obwohl der Holocaust nicht Thema des Prozesses war, begrüßen wir die Tatsache, dass alle Versuche, die Wahrheit über die tragischen Ereignisse zu manipulieren, keine Grundlage haben.“ Die Beklagte Deborah Lipstadt sagte nach der Urteilsverkündung: „Ich hoffe, dass dieser Sieg anderen Autoren solche Prozesse und Leidenswege ersparen wird.“
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