Freizügige Milieukritik statt Sexploitation

■ Das Fama widmet der Sängerin Nico zwei Wochenenden: Im vergessenen Melodram Strip-Tease zieht sie sich aus, die Doku Nico-Icon erklärt, was an ihr anziehend war

„Here she comes, you better watch your step, she's going to break your heart in two, it's true.“ Die ersten Zeilen von Velvet Undergrounds „Femme Fatale“, die Nico mit tiefem, teutonischem Timbre vorträgt, dabei haarscharf zwischen Ton und Misston balancierend, sprechen von der Gefahr, in die sich das männliche Begehren begeben kann. Macht der Schönheit und Ruch des Verderbens – das Etikett der femme fatale aber will an Nico nicht recht haften bleiben. Denn gefährlich war Nico vor allem sich selbst.

Am ehesten noch mit Marlene Dietrich zu vergleichen, war Nico der Männerwelt eher eine perfekte Fläche, auf die projiziert werden konnte, was die Wünsche grad so hergaben. „I'll Be Your Mirror“, eines der zärtlichsten Lieder aus Lou Reeds Feder, schrieb er für sie, und Nico sang es mit unverwechselbarer Stimme. Kaum ein Star der 60er- und 70er-Jahre, der nicht in Beziehung zu ihr trat. Einen Sohn hatte sie mit Alain Delon, ein Lied von Bob Dylan heißt „I' ll Keep It With Mine“. Für Andy Warhol war sie die Verkörperung der Mondgöttin, Leonard Cohen widmete ihr das Liebeslied „Take This Longing“ und Philippe Garrel drehte nach ihrer Begegnung nur noch Filme mit Nico.

In Fellinis La dolce vita (1960) hat sie ihren ersten Filmauftritt: Als Schönheit für einige Augenblicke an der Seite von Marcello Mastroianni. Drei Jahre später ist sie den Nebenrollen des Beautiful Girls entwachsen und spielt die Hauptrolle in Jacques Poitrenauds Strip-Tease – vom deutschen Verleih etwas artig als Das Mädchen Ariane vermarktet. Doch ausnahmsweise haben wir es einmal nicht mit verleihtypischem Etikettenschwindel zu tun, denn Ariane ist keine femme fatale, sondern ein gefallenes Mädchen.

Aus materieller Not dazu getrieben, sich als Stripperin zu verdingen, nimmt die Balletteuse jedoch alsbald wieder Abschied vom sich entblätternden Gewerbe. Während Ariane mit waidwundem Blick in den Augen ihren Auftritt abbricht, entledigt sich die ihr nachgebildete Marionettenfigur auch noch des letzten Stückchen Stoffes. Unmissverständlich ist die Botschaft und deutlich der Ernst, mit dem hier zu Werke gegangen wurde. Denn obgleich für seine Zeit recht freizügig in der Inszenierung von nackter Haut, ist Strip-Tease weniger interessiert an Sexploitation als an Milieukritik. So herkömmlich dieses Melodram in seiner Moral-von-der-Geschicht-Machart erscheint, so aufregend sind die Zutaten. Für die Musik zeichnet Serge Gainsbourg verantwortlich und aufmerksamen Zuschauern wird auch die Chanson-ette Juliette Gréco kaum entgehen können.

Tim Gallwitz

Strip-Tease / Das Mädchen Ariana: 14. + 15. 4. Nico-Icon: 21. + 22.4., jeweils 22.30 Uhr, Fama