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Der Bus aus Riga

Unterhaltung – das machen schon die anderen: Viesturs Kairiss kommt aus Lettland und ist ein junger und ernster Regisseur. Das Hebbel-Theater zeigt seine Inszenierung „Serpent“

Kairiss möchte eine universelle Theatersprache finden. Jede Art von Botschaft ist ihm suspekt. Politisches Theater findet er grauenhaft

von ESTHER SLEVOGT

In loser Folge wird das Hebbel-Theater im Laufe des Jahres Produktionen junger osteuropäischer Theater zeigen, von denen einige schon 1999 beim Theater der Welt zu Gast waren. Den Anfang macht jetzt das New Riga Theatre aus Lettland mit einer Arbeit des 1971 geborenen Viesturs Kairiss: „Serpent“, nach einer Erzählung des rumänisch-französischen Schriftstellers Mircea Eliade.

Viesturs Kairiss gehört zu einer neuen Generation von lettischen Regisseuren, die Theater als zeitgenössische Kunstform wieder entdeckt haben und mit wachsendem Erfolg auch ein junges Publikum erreichen. Im vergangenen Jahr hat er in der Lettischen Nationaloper seine erste Oper inszeniert. Wenn Kairiss selbst über sein Theater spricht, klingt das ein bisschen klösterlich, nach weltabgewandter Vereinigung von Kunst und Leben. Aber so will er das gar nicht verstanden wissen, denn schließlich öffne man sich ja dem Publikum, das man gewinnen will und irgendwie auch erziehen will.

Unterhaltung ist für Kairiss ein Schimpfwort: etwas, das immer bloß die „anderen“ tun. Er möchte eine universelle Theatersprache erfinden als Instrument zur Erfassung der Welt. Jede Art von Botschaft ist ihm suspekt. Politisches Theater findet er grauenhaft. Einzige Ausnahme: Christoph Marthaler. Kairiss guckt misstrauisch, als würde er erwarten, dass man nicht versteht, was er meint. Kairiss nimmt die Dinge ziemlich ernst.

Kirsten Herkenrath, Pressesprecherin des Hebbel-Theaters, vergleicht das zwei Jahre alte Projekt New Riga Theatre mit der neuen Berliner Schaubühne und hat nach der Vorstellung am 14. April zum Publikumsgespräch geladen, an dem auch der Schaubühnendramaturg Jens Hillje teilnehmen wird. Ob ein Interviewtermin mit Kairiss und seiner Ausstatterin Ieva Jurjane am Tag vor der Premiere pünktlich zu Stande kommen würde, blieb bis zum Schluss unklar. Beide würden zusammen mit ihrem Theater per Bus von Riga nach Berlin reisen. Das könnte länger dauern, als geplant.

Aber dann sind sie, nach 26 Stunden Reise, doch pünktlich da. Auf der Bühne entsteht schon der Wald, durch den später die Familie Solomon irren wird, wo Tochter Dorina dann dem merkwürdigen Andronic begegnet, mit dem sie schließlich verschwindet. Klangkompositionen von Arturs Maskat werden das Ganze akustisch verdichten.

Vorerst aber ist die Zauberlandschaft noch im Bau. Knallig grüne Blätter, wohin man sieht. Lettische Bühnenarbeiter sind damit beschäftigt, ein Laufband zu installieren. Bodenklappen werden eingebaut, durch die später allerhand Gestalten erscheinen und wieder verschwinden werden. Man soll sich das alles bloß nicht zu märchenhaft vorstellen, sagt Kairiss.

Vom Weg zurück ins Mythologische, den manche osteuropäische Theatermacher seit 1990 gegangen sind, ist der junge Regisseur weit entfernt. Manchmal würden seine Inszenierungen auch an Musikvideos erinnern, findet er, von Musikvideos hätte er das Komprimieren von Stimmungen gelernt, die Aufladung von Atmosphäre.

Überhaupt will er sich von allen möglichen Kulturen und Kulturformen anregen lassen, von west- und osteuropäischen gleichermaßen. Riga ist für so ein Verschmelzen öst-westlicher Kulturen in Europa nicht der schlechteste Ort. Die Stadt an der Ostsee, in der fast die Hälfte der lettischen Bevölkerung lebt, hat das Potenzial, ein kulturelles Zentrum zu werden – am Schnittpunkt zwischen Skandinavien, Russland und Westeuropa. „Es wird sich hoffentlich entwickeln“, meint Kairiss.

„Serpent“ vom New Riga Theatre ist heute, morgen und übermorgen jeweils um 20 Uhr am Hebbel- Theater zu sehen

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