: Einigkeit und Recht und Kaiser Wilhelm
Bundestagsabgeordnete fast aller Parteien wollen in Berlin ein Nationaldenkmal errichten. Im Bundestag wird heute erstmals darüber gestritten. Rita Süssmuth, eine der InitiatorInnen des „Einheits- und Freiheitsdenkmals“, und Micha Brumlik, einer der Gegner, debattieren schon in der taz
Die neue Hauptstadt würde ein „Einheits- und Freiheitsdenkmal“ schmücken. Zwar ist Berlin reich an Denkmälern, an alten und neuen. Mit ihnen erinnern wir an die deutsche Geschichte, an die dunkelsten Kapitel, den nationalsozialistischen Terror mit seinem Rassenwahn, an Mauer, Stacheldraht und Teilung.
Aber es fehlt ein sichtbares Zeichen der friedlichen Revolution, des demokratischen Aufbruchs, der Wiedervereinigung. Wo steht das Denkmal, das an das Ende eines halben Jahrhunderts Teilung des Landes, seiner Hauptstadt und seiner Nation erinnert? Diese glückliche Wendung der Geschichte sucht noch immer nach einem künstlerischen Ausdruck in der Hauptstadt, die so viele traurige Tage gesehen hat.
Jetzt könnte man einwenden, dass das geplante Denkmal zu Deutschland-zentriert werden könnte, da es sich auf dieses freudige Ereignis der friedlichen Revolution hierzulande konzentriert. Angesichts zunehmender Globalisierung und eines zusammenwachsenden Europas, so wäre zu fragen, wozu da noch ein Nationaldenkmal?
Doch dieses Argument sticht nicht. Das geplante Denkmal will schließlich die europäische Dimension des Umbruchs in Mittel- und Osteuropa beleuchten, wie der Antrag immer wieder betont. Denn allen Befürwortern des Denkmals ist klar: Die Aufstände von 1989 waren nicht nur ein deutsches, sondern ein gesamteuropäisches Ereignis: Ohne den Prager Frühling, ohne Polens Solidarność, ohne Glasnost und ohne die Öffnung der ungarischen Grenzen hätte es die Wende nicht gegeben. Auch den zahllosen Opfern, die den Weg bereiteten, wird somit ein Denkmal gesetzt.
Die geplante Gedenkstätte wird zugleich an die westliche Entspannungspolitik erinnern. Denn ohne sie wäre der Durchbruch zur Freiheit und Einheit nicht möglich gewesen. Auf dieses epochale Ereignis verweisen die Initiatoren (Lothar de Maizière, Florian Mausbach, Günter Nooke, Jürgen Engert). Zurecht begründen sie so vielschichtig ihren Antrag.
Und warum gerade dieser Ort? Im Herzen der Stadt Berlin liegt der Schloßplatz. Von diesem Platz aus wurde Deutschland unter Bismarck zum ersten Mal geeint: von oben. Dafür stand ein pompöses Reiterdenkmal für Kaiser Wilhelm I. Doch der Kaiser hoch zu Ross ist nicht mehr! Übrig geblieben ist ein leerer Sockel. Diese Stätte wartet auf eine neue Bestimmung. Was liegt näher als hier ein Freiheits- und Einheitsdenkmal der friedlichen Revolution von unten zu errichten? Eines für das Volk, nicht für einen Herrscher. Eine Stätte der Staatsbürger, nicht der Untertanen.
Denn dies ist zugleich ein Kristallisationspunkt großer demokratischer Tradition: In unmittelbarer Nachbarschaft – am Alexanderplatz – versammelte sich im Herbst eine Million Ostdeutscher, um friedlich zu demonstrieren. In der Nachbarschaft zum Berliner Schloßplatz tagte die frei gewählte Volkskammer. In ihr wurde in einer demokratisch-parlamentarischen Sternstunde die Einheit Deutschlands mit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik beschlossen. Und gegenüber dem Berliner Schloss, im Kronprinzenpalais, wurde am 31. August 1990 der Einigungsvertrag unterzeichnet.
Der Schloßplatz steht im Zentrum der Orte, an denen die friedliche Revolution ihren mächtigsten Ausdruck fand, die Einheit auf den Weg gebracht und schließlich die Wiedervereinigung mit dem Einheitsvertrag ermöglicht wurde. Auch deshalb gehört das Denkmal genau hier hin. Die Schlossfreiheit ist zu einem glücklichen Ort der vergangenen Jahrzehnte in Deutschland geworden.
Die friedliche Revolution von 1989 ist ein Meilenstein in der Geschichte der Deutschen. Unsere staatliche Vergangenheit, die so wenige Traditionen der Demokratie kennt, findet in ihr einen ihrer wenigen Höhepunkte. Das „Einheits- und Freiheitsdenkmal“ auf der Schlossfreiheit kann und wird an diesen demokratischen Wurzeln anknüpfen. Es soll ein neuer Ort staatsbürgerlichen Selbstbewusstseins werden, an dem an die besten Seiten unserer Verfassung erinnert und gemahnt wird: an die Würde und Freiheit jedes Menschen in unserem Staat, ob deutscher, ob nichtdeutscher Herkunft.
Ich schließe mich den Initiatoren an, wenn sie erklären: „Das Denkmal soll Rückblick, aber auch Anstoß sein. Anstoß, den demokratischen Aufbruch jener Tage fortzusetzen, sich regende alte Geister zu bannen und Demokratie und Einheit zu festigen. Das Denkmal soll symbolischer Mittelpunkt und Treffpunkt der streitbaren Demokratie werden.“ Die Deutschen haben sich ein Denkmal der Freiheit und Einheit verdient. RITA SÜSSMUTH
Ein kunstsinniges Parlament scheint sich von ästhetischen Debatten gar nicht mehr zu verabschieden. Nach so vielen, den kollektiven Narzissmus beeinträchtigenden Denkmälern soll jetzt die nationale Seele erhoben werden. „Ein Freiheit- und Einheitsdenkmal“, so die fleißigen Abgeordneten in der Begründung des Antrages, „wäre zugleich Überwindung eines martialischen Nationalismus und Vollendung der demokratischen Revolution 1848.“
Man kann bei derlei Unternehmungen an Hegel denken und im Denkmal etwas überwinden wollen, was von der Roten Armee, der U.S. Army sowie den Truppen des Commonwealth von El Alamein über Stalingrad bis nach Remagen mit einem entsetzlichen Blutzoll auf dem Schlachtfeld niedergerungen wurde, nämlich den martialischen deutschen Nationalismus. Man kann aber auch – dem biederen Zuschnitt des Ganzen entsprechend – an Buschs Witwe Bolte und ihre Hennen denken, die von Max und Moritz gequält, an einem Ast hängen bleiben und ersticken. Der Kommentar zu diesem geflügelten Elend konnte trockener nicht ausfallen: „Jedes legt noch schnell ein Ei, und dann kommt der Tod herbei.“
Verkehrte Welt: In einer Zeit, in der die Nation mit der Preisgabe ihrer Souveränität an die Europäische Zentralbank ihre Abdankung längst beschlossen hat und sie allenfalls noch gegen Flüchtlinge behauptet, soll sie ihren verpassten Chancen und dem späten Glück unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die eine oder andere Träne nachweinen. Das geplante Denkmal ist unredlich, weil es sich auf eine Revolution bezieht, die nicht dem jetzigen Staat galt. 1848, ganz recht, war eine Revolution deutschsprachiger Patrioten, von Liberalen, Kommunisten, Demokraten und Nationalisten, die ein einiges, demokratisch verfasstes Deutschland von Berlin über München bis nach Wien wollten. Der von ihnen gewollte Staat war nicht derjenige, auf den sich ein deutsches Denkmal allenfalls beziehen könnte, auf das von Bismarck mit Blut und Eisen im Krieg gegen Frankreich gegründete Deutsche Reich. Wenn sich die Parole von „Einheit“ und „Freiheit“ wirklich auf 1848 und nicht auf 1871 beziehen soll, so muss daran erinnert werden, dass diese Einheit in diesem Jahrhundert immerhin schon einmal vollzogen wurde: Am 13. März 1938, als Hitler auf dem Wiener Heldenplatz der Geschichte den Eintritt seiner Heimat in das Deutsche Reich meldete.
Aber vielleicht war ja alles ein Irrtum und es geht doch um ein Denkmal für den Nachfolgestaat des Bismarckreichs. Dann hätte der jetzige Bundestag die einmalige Chance, eine Debatte zu führen, die zu ihrer Zeit unterblieb. Dann wäre unter Demokraten ernsthaft zu erörtern, ob nicht die Formel „Wir sind das Volk“ aller Ehren wert ist, während die Devise „Wir sind ein Volk“ gewiss verständlich, aber nicht unbedingt ehrbar ist, zumal sie oft genug praktischer buchstabiert wurde: „Kommt die DeMark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehn wir zu ihr!“ Fernsehzuschauer werden sich daran erinnern, dass am Tag des Mauerfalls eitel Freude herrschte, weswegen die sozialpsychologische Begründung des Antrages einen doch erstaunt: „Die Unfähigkeit zu feiern und die Unfähigkeit zu trauern gehören zusammen. Sie können auch nur zusammen überwunden werden.“ Daran ist mindestens so viel richtig, dass die Deutschen – so 1968 Alexander und Margarete Mitscherlich in ihrem berühmten Buch – den heiß geliebten Adolf Hitler nicht betrauern konnten, weil sie sonst in rettungslose, lähmende Melancholie verfallen wären. Von Freude mag man gar nicht reden. Versteht man die Antragstellerinnen recht, wenn man heraushört, dass das Mahnmal an die Opfer der Massenvernichtung erst richtig angenommen wird, wenn das Einheits/Freiheitsdenkmal steht? Doch, tut man: „Denkmäler der Schande und der Trauer, des Stolzes und der Freude sind notwendige Grundsteine des neuen Deutschland und der neuen Bundeshauptstadt.“
Das neue Deutschland wird, wie auch die PDS aus Trauer über ihre untergegangene Despotie, gegen das Denkmal sein, was aber niemanden dazu führen sollte, aus Angst vor dem Beifall von der falschen Seite dafür zu stimmen. Verfassungspatrioten kommt jetzt die Aufgabe zu, die richtigen Unterscheidungen zu treffen. Sie werden an Konrad Adenauer erinnern, der zu Recht der Meinung war, dass Freiheit vor Einheit geht, und in seinem Sinne für ein Denkmal eintreten, das – und jetzt Spaß beiseite – in nichts anderem bestehen sollte als einer avantgardistisch kühl gestalteten Verbindung von Datum des Mauerfalls mit dem ersten Artikel des Grundgesetzes.
MICHA BRUMLIK
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