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Keine Ausnahme

Betr.: „Weisheits-Alter“ taz hamburg vom 8./904.00

Mit Interesse las ich in der heutigen taz, dass der „rabiate“ Umgang mit neuangekommenen jungen Flüchtlingen in der Hamburger Ausländerbehörde mal wieder einen Artikel und sogar eine Intervention der GAL wert ist. Die geschilderte Behandlung ist jedoch keine Ausnahme, sondern seit Jahren – und entgegen manchen Behauptungen aus GAL-Kreisen – immer noch die Regel. Wir begleiten mindestens einmal pro Woche minderjährige Flüchtlinge, die gerade in Hamburg angekommen sind, in die Ausländerbehörde. In jedem Fall rufen die SachbearbeiterInnen das LKA an, um das Alter des Flüchtlings einzuschätzen und in sehr vielen Fällen wird dabei ohne muttersprachliche Erklärung der Mund des Jugendlichen geöffnet und mit rassistischen Bemerkungen über sein vermeintliches Alter räsonniert. Halten die LKA-MitarbeiterInnen den Flüchtling für älter als 18 (wie oft dies geschieht, hängt nach unserer Beobachtung eher von der Laune der PolizistInnen und der Zahl der Neuangekommenen ab als von irgendwelchen „wissenschaftlichen“ Kriterien), nehmen sie ihn fest.

Vorwurf ist „mittelbare Falschbeurkundung“ wegen angeblich falscher Altersangabe. Verstehen kann das keiner der Flüchtlinge – er wird einfach mitgenommen zur Polizeiwache, dort erkennungsdienstlich behandelt, d.h. es werden Fingerabdrücke und Fotos gemacht, in manchen Fällen in unbekleidetem Zustand, es wird per Computer überprüft, ob er schon einmal in Deutschland war, und irgendwann mitten in der Nacht oder am frühen Morgen wird der völlig orientierungslose Flüchtling wieder auf die Straße gesetzt.

Nette Polizisten geben ihm vielleicht noch die Adresse vom Erstaufnahmeschiff „Bibby Altona“, aber wie er dort hinfindet und wie er die Fahrt bezahlt, ist seine Sache. Am nächsten Morgen muss er sich dann wieder bei der Ausländerbehörde melden und erhält eine „BüMa“ (Bescheinigung über die Meldung als Asylbewerber) mit einem Verteilort meist außerhalb Hamburgs, eine Fahrkarte dorthin sowie einen Zettel, dass er 10 Tage Zeit hat, sein Alter bei einem von sechs Hamburger Ärzten überprüfen zu lassen.

Im übrigen werden auch junge Flüchtlinge, die nicht festgenommen, aber von den SachbearbeiterInnen trotzdem „fiktiv gemacht“, d.h. für über 16 erklärt werden, nicht auf das Flüchtlingsschiff „gebracht“, wie der Artikel suggeriert. Ihnen wird auch kein Ticket für den Bus dorthin gegeben, sondern – in völligem Widerspruch zum 10-Tage-Frist-Verfahren – eine nur vier Tage gültige Fahrkarte zum Verteilort ausgehändigt. Bei den Schiffen werden sie oft abgewiesen mit der Begründung, sie seien überfüllt, oder sie werden in völlig überbelegte, verschmutzte Kabinen gesteckt, ohne jegliche Beratung und Betreuung.

Meine KollegInnen und ich von Info International haben jede Woche mit mehreren Jugendlichen zu tun, denen all dies passiert. Zusammen mit dem Flüchtlingsrat Hamburg kritisieren wir seit Jahren das „Ältermachen“ von Flüchtlingen. Angesichts der Zuspitzung der Situation, u.a. durch die Überbelegung der Schiffe, haben wir vor über einem Jahr die Mindestforderung gestellt, neuangekommene junge Flüchtlinge, die von der Ausländerbehörde „ältergemacht“ wurden, während der 10-Tage-Frist statt auf dem Schiff in einer Erstversorgungseinrichtung der Jugendhilfe unterzubringen. Sowohl den zuständigen Behörden als auch der GAL ist diese Forderung seit langem bekannt. Ihre Umsetzung lässt jedoch auf sich warten. Verhandlungen des Amts für Jugend scheiterten angeblich an „Missverständnissen“ mit der BAGS.

Vielleicht trägt ja der taz-Artikel dazu bei, dass Frau Möller sich nicht nur in diesem Einzelfall, sondern endlich einmal grundsätzlich um dieses Problem kümmert!

Mit ungeduldigen Grüßen,

Cornelia Gunßer, Info International, Straßenarbeit für minderjährige unbegeleitete Flüchtlinge

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