piwik no script img

Norwegian Wood

Gunnar schreibt Bauanleitungen für IKEA. Er kennt sich aus mit Holzdübeln, aber für ein Leben zu zweit ist das dann doch nicht genug: Maike Wetzel las in der Kulturbrauerei aus ihrem Erzählband „Hochzeiten“

Ausgerechnet Tulpen! Wo schon das Cover von Maike Wetzels erstem Erzählband rote Rosen zieren – „echt David-Lynch-mäßig“, wie die Autorin findet. Da hätte die Galerie im Pferdestall in der Kulturbrauerei zur Lesung ja auch gleich mal welche regnen lassen können. Statt dessen Tulpen. Und die lassen auch noch die Köpfe ziemlich traurig hängen. Egal, auch Maike Wetzel sieht von Angesicht zu Angesicht ganz anders aus als auf Fotos. Der Unterschied ist etwa so groß wie der zwischen einer schlaffen Tulpe und einer knackigen Rose. Auf den Bildern das blühende Leben mit frechem, roten Bopp, hinter dem Mikrofon und der Vase ein blasses, schmales Gesicht mit Rotznase und etwas belegter Stimme.

„Huuh, ich bin ein bisschen erkältet“, stöhnt sie nach der ersten Geschichte. Als sie von den letzten pissefreien Flecken im Tiergarten während der Love Parade liest, greift sie das erste Mal zum Wasserglas.

„In der Zwischenzeit“, die Love Parade als Kurzgeschichte, sei an einem Küchentisch in Italien entstanden, erzählt Maike Wetzel später – „die Kerngeschichte“ in ihrem Band. Dann habe sie sie über Jahre weiterentwickelt, wahrscheinlich so lange, bis die angereiste Ich-Erzählerin und ihr aktueller Lover das volle Programm durchhatten: Unterkunft in einer Altbauwohnung mit Außentoilette und ohne Bad in Berlin, Techno im Tresor, Pillen bis zum Abwinken, Notaufnahme im Krankenhaus – Ende der Beziehung und Warten auf den nächsten Mann. „Dankeschön“, sagt Maike Wetzel, als sie am Ende der Geschichte angekommen ist.

Maike Wetzel ist genauso kurz angebunden wie ihre Kurzgeschichten. In ihnen steht kein Wort zu viel. Im Nullkommanichts erfährt man alles, was man über ihre Figuren wissen muss – und man versteht die kleinen Wege und Umwege ihres Liebesglücks. Eines Liebesglücks, das meistens ein Liebesunglück ist. „Hast du jetzt das Gefühl, einen eigenen Stil gefunden zu haben?“, fragt ein Zuhörer die 26-jährige, für ihre Geschichten mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin, die gerade ihr Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München beendet. Das müssten andere beurteilen, antwortet sie zuerst. Aber dann fügt sie doch hinzu: „Ich schreibe in diesem Stil, weil ich keine Rüschen und Spitzen mag. So ist auch meine Sprache.“ Da hat sie recht. Maike Wetzel liest an diesem Abend noch zwei weitere Erzählungen. Die Titelgeschichte „Hochzeiten“, die sie gerade – in einem Kurzfilm natürlich – verfilmt hat, handelt von einer Mutter-Tochter-Beziehung, in deren Zentrum der ausländische Freund der Mutter steht. Die Mutter heiratet den Freund, die Tochter lässt sich von ihm schwängern. Möglicherweise. Es bleibt offen. Aber es gibt ein Hochzeitskleid mit Schleppe, ohne Rüschen und Spitzen.

Die gibt es auch nicht in der dritten Geschichte an diesem Abend. In „Einmal Schweden“ verliebt sich Jule aus Deutschland während der Mitternachtssonne in den Schweden Gunnar, der für IKEA Kommoden-Bauanleitungen schreibt und verheiratet ist. Der Sex mit ihm ist gut, und er kennt sich aus mit Holzdübeln und Schrauben. Für ein Leben zu zweit reicht das nicht, findet Jule.

Nach 45 Minuten hat Maike Wetzel drei kurzweilige Erzählungen vorgelesen, ein paar Fragen beantwortet, sich die Nase geputzt, zweimal die Tulpen verrückt und zwei Glas Wasser getrunken. „Alles schon in Auflösung“, interpretiert sie das erste Stühlerücken und beendet den Abend mit einem „Danke für Ihre Aufmerksamkeit“. Wenn sie in Kürze ihren Abschluss haben wird, will sie nach Berlin umziehen. Und ihren Film zu den „Hochzeiten“ im Grünen Salon der Volksbühne zeigen. Dauer: ungefähr 15 Minuten. So viel Zeit muss sein. PETRA WELZEL

Maike Wetzels Kurzfilm „Hochzeiten“ ist am 20. Juni um 20 Uhr im Grünen Salon der Volksbühne, Rosa-Luxemburg-Platz, zu sehen

Hinweis:Das volle Programm: Altbauwohnung mit Außentoilette, ohne Bad, Techno im Tresor, Pillen bis zum Abwinken – Ende der Beziehung

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen