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Schläge für den Abschaum

Ein weißrussischer Milizionär rechnet mit dem Regime ab. Sicherheitskräfte hätten Order, bei Demos zu provozieren und die Teilnehmer zu verprügeln

BERLIN taz ■ Die Widersacher des autoritären weißrussischen Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko beschränken sich nicht länger auf die wenigen Unermüdlichen, die sich für Menschenrechte einsetzen und dafür bei Protestmärschen regelmäßig zusammengeschlagen und verhaftet werden. Auch die, die den Schlagstock schwingen, werden jetzt abtrünnig.

Kürzlich machte einer seinem Unmut Luft, der es wissen dürfte. In einem offenen Brief unter dem Titel „Meine Herren Offiziere, es reicht, Sklaven zu sein“, den die oppositionelle Zeitung Narodnaja Volja auf der ersten Seite veröffentlichte, rechnet Oleg Baturin, Leutnant der weißrussischen Miliz, mit den Regime ab.

Bis vor kurzem war der 25-Jährige regelmäßig bei Protestkundgebungen der Opposition im Einsatz. So auch am 17. Oktober vergangenen Jahres. 20.000 Menschen hatten damals in der Hauptstadt Minsk gegen die Union mit Russland und das spurlose Verschwinden mehrerer Oppositioneller demonstriert. Bei schweren Straßenschlachten mit Sicherheitskräften der Miliz und des Innenministeriums waren zahlreiche Demonstranten zum Teil schwer verletzt und 200 vorübergehend verhaftet worden.

Dieses Vorgehen hat, glaubt man Baturin, im Reich Lukaschenkos Methode. Befohlen von oberster Stelle des Innenministeriums, sei es seine und die Aufgabe einiger Kollegen gewesen, schreibt Baturin, gezielt Zusammenstöße der Miliz mit den Demonstranten zu provozieren, dabei mit verunglimpfenden Parolen die Situation anzuheizen und die Menge von der Route abzudrängen, direkt in die Arme der Sicherheitskräfte.

Und weiter: „Auch werden alle einer Gehirnwäsche unterzogen, nach dem Motto: Diejenigen, die sich dort versammeln, sind Miststücke und Abschaum. Man muss sie zusammenschlagen, weil sie unseren geliebten Präsidenten daran hindern, produktiv zu arbeiten. Deshalb soll niemand Angst haben, einen Demonstranten zu verprügeln, denn Gesetz und Ordnung sind auf unserer Seite.“

Ob das Beispiel Baturins Schule macht, ist eher zweifelhaft. Zwar habe er, wie er in einem Interview mit der Moskauer Wochenzeitung Moskowskije Nowosti sagte, viele aufmunternde Anrufe von ehemaligen Studienfreunden und Arbeitskollegen erhalten, die seinen Schritt unterstützen. Doch der Preis für einen solchen Vorstoß ist hoch. Am Tag der Veröffentlichung seines Briefes lauerte die Miliz seinem Bruder auf und versuchte, unter Anwendung von Gewalt, an Informationen über den Aufenthaltsort Baturins zu kommen. Auch seine Verlobte wurde mehreren Verhören unterzogen.

Mittlerweile hat Baturin Weißrussland verlassen und hält sich in Warschau auf, wo er von der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und dem Helsinki-Komitee für Menschenrechte unterstützt wird. In der US-Botschaft hat er einen Antrag auf politisches Asyl gestellt und wartet derzeit auf Antwort. BARBARA OERTEL

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