: Nach 55 Jahren endlich Einigkeit
Entschädigung von Zwangsarbeitern: Alle Fraktionen brachten gestern gemeinsamen Gesetzentwurf ein
BERLIN taz ■ Es war ein bemerkenswerter Vorgang: Den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern, den der Bundestag gestern in erster Lesung beriet, hatten alle Fraktionen als eigene Initiative eingebracht. Die Parteien wollen gewährleisten, dass die ersten Gelder noch in diesem Jahr an die Opfer ausgezahlt werden. Bemerkenswert ist das Vorgehen deshalb, weil die Grünen noch in den 80er-Jahren mit zwei Anträgen an der Parlamentsmehrheit gescheitert waren.
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) betonte gestern in seiner Regierungserklärung, dass mit der Stiftung „endlich eine Antwort auf eine seit mehr als 50 Jahren ungelöste Frage“ gegeben wird. Der Beauftragte der Regierung, Otto Graf Lambsdorff, sprach von einem „historischen Schritt“. Niemand in Deutschland könne leugnen, dass die Entschädigungsregelung 55 Jahre nach Kriegsende zu spät komme, sagte PDS-Fraktionschef Gregor Gysi. Er musste Versäumnisse der alten DDR-Regierung gegenüber den Zwangsarbeitern einräumen: „Wir bedauern zutiefst, dass wir uns nicht ausreichend darum gekümmert haben.“ Mit dem Hinweis, die DDR sei nicht Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches, hatte die Führung alle Entschädigungsansprüche abgewehrt.
Die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ soll noch im Sommer gegründet werden. Von den insgesamt 10 Milliarden Mark, die Bund und Wirtschaft aufbringen, kommen 8,25 Milliarden unmittelbar den Opfern zugute. Schröder appellierte an die deutsche Wirtschaft, dem Entschädigungsfonds beizutreten. Bis gestern hatten insgesamt 1.208 Unternehmen ihre Beteiligung zugesagt. Regierung und Opposition forderten erneut Rechtsschutz für deutsche Unternehmen in den USA.
Das Oberste Gericht Griechenlands hat Deutschland unterdessen zur Zahlung von Kriegsentschädigungen in Höhe von umgerechnet 55 Millionen Mark verurteilt. Die Summe müsse den Angehörigen von 218 Dorfbewohnern gezahlt werden, die 1944 von deutschen Truppen ermordet wurden, teilte das Gericht gestern in Athen mit. Nach deutscher Auffassung sind alle Entschädigungsleistungen 1960 durch ein Abkommen mit Griechenland abgegolten.
US-Verhandlungsführer Stuart Eizenstat hatte in der Schlussphase der Entschädigungsverhandlungen in einem Memorandum überraschend die Reparationsfrage wieder aufgeworfen. Erst als Deutschland sich verpflichtete, im Stiftungsgesetz auch Vermögensansprüche nicht rassisch Verfolgter zu berücksichtigen, ließ er die Forderung fallen. Schröder betonte, „dass Reparationen für mich heute kein Thema mehr sein können“.
Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 hatten die Alliierten die Reparationsfrage zurückgestellt – bis zu einem Friedensvertrag mit einem vereinigten Deutschland. Bei der Wiedervereinigung war Bonn darauf bedacht, den Zwei-plus-vier-Vertrag nicht als Friedensvertrag zu definieren. In der „abschließenden Regelung in Bezug auf Deutschland“, so der Vertragstitel, findet sich über Reparationen kein Wort. NICOLE MASCHLER
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen