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Letzter Test für die Opposition

Serbiens Milosevic-Gegner brauchen dringend einen Erfolg. Einen Plan, wie es nach der Kundgebung weitergehen soll, haben sie nicht

aus BelgradANDREJ IVANJI

„Niemand darf heute ausbleiben. Wir müssen diesem Staatsterror endlich ein Ende machen“, donnerte der Chef der „Serbischen Erneuerungsbewegung“ (SPO), Vuk Drašković, vor den Kameras des oppositonellen Belgrader Fernsehsenders „Studio B“. Und der Vorsitzende der „Demokratischen Partei“ (DS), Zoran Djindjic, erklärte: „Wer zufrieden ist mit seiner Existenz in Serbien, soll zu Hause bleiben. Wer einen Wandel möchte, soll am Freitag zum Platz der Republik kommen.“ Nach langem Zögern und heftigen Streitereien haben sich Draškovic, Djindjić und vierzehn weitere Oppositionsführer darauf geeinigt, gemeinsam die Bürger Serbiens für den 14. April zu einer Volkskundgebung im Zentrum Belgrads aufzurufen. Motto: „Stop dem Terror. Für Demokratie.“

Die Demonstration wäre beinahe gescheitert, weil sich die eitlen serbischen Oppositionsführer lange nicht einmal darauf einigen konnten, wer überhaupt und in welcher Reihenfolge als Redner auftreten sollte. Unumstritten war nur das Ziel der Volkskundgebung, nämlich das Regime des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević zu brechen. Alles andere – eine gemeinsame Strategie der Opposition nach der Demonstration, einheitliche Wahllisten bei kommenden Kommunalwahlen, die Art der Verteidigung der vom Regime attackierten unabhängigen und oppositionellen Medien – ist nach wie vor umstritten.

„Das sind alles blasierte Volltrottel“, sagt der Historiker Milan Janković. „Ja, ich werde wieder demonstrieren, aber sicher nicht, um die Reden von Djindjić und Drašković zu hören, sondern weil ich keine andere Möglichkeit habe, meine Unzufriedenheit zu äußern“, so der Dreißigjährige. Er betrachtet die Demonstration als ein „Referendum“ für den Machtwechsel in Serbien.

Sich ihrer Schwächen und des Risikos einer schwach besuchten Massenkundgebung bewusst, tat die Opposition alles, um Einigkeit zu demonstrieren. Tagelang wurde der Massenprotest in allen unabhängigen Medien dramatisch angekündigt, Anhänger der Opposition kamen organisiert aus der Provinz nach Belgrad. Die Opposition setzt allerdings vor allem auf den Unmut der Bürger über die katastrophale soziale Lage in Serbien. Sie weiß, dass die meisten Menschen kommen werden, weil sie „gegen“ das Regime, und nicht „für“ die Opposition sind. Das Wetter spielte gestern wenigstens mit, es war ein sonniger und warmer Frühlingstag.

Genauso ein schöner Tag war auch im August des Vorjahrs, als sich nach dem Ende des Nato-Bombardements auf Jugoslawien 200.000 Bürger zur oppositionellen Massenkundgebung in Belgrad versammelten, um gegen das Regime Milošević zu demonstrieren. Die gleichen Oppositionsführer wie heute hielten damals die gleichen feurigen Reden gegen das Regime und für Serbien. Geändert hat sich seither nichts.

Zu oft haben die Menschen in Serbien schon demonstriert, zu oft sind sie von der Polizei verprügelt worden, und immer endete diese Aufopferung mit den ewigen Zänkereien der Oppositionsführer. Die gestrige Massenkundgebung ist der letzte Test für die serbische Opposition. Die Frage lautet: Sind die Bürger Serbiens überhaupt noch bereit, ihnen zu folgen?

Der Schlüssel für einen Wandel in Serbien, da sind sich Analytiker vor Ort einig, liegt im derzeit apathischen und misstrauischen Belgrad. „Diese Volkskundgebung ist eine gute Gelegenheit, um das Misstrauen der Provinz gegenüber der Hauptstadt zu überbrücken. Entscheidend wird sein, ob die Opposition danach gezielte, organisierte und entschiedene Aktionen gegen das Regime startet“, erklärt Boris Tadić, Vize-Präsident von Djindjić’ Demokratischer Partei (DS). Die Oppositionsführer müssten die Bürger Serbiens davon überzeugen, dass sie fähig sind, gemeinsam für Serbien zu kämpfen und ihre internen Feindseligkeiten zu überwinden. Allerdings gibt es noch keinen klaren Plan, was man nach der Demonstration machen könnte, gibt Tadić zu.

Das Regime aktivierte die schon bekannten Abwehrmechanismen gegen organisierte Aktionen der Opposition. Im staatlichen Fernsehen lief am Mittwoch die Sendung „Die fünfte Kolonne in Serbien“, die Opposition wurde beschuldigt, von der Nato Geld zu bekommen, um Unruhen in Serbien auszulösen. Am Tag davor explodierte ein Bombe in Parteiräumen der Belgrader Milošević-Sozialisten, die Opposition wurde für den „Terroranschlag“ verantwortlich gemacht. Der Vizepräsident der DS und Bürgermeister der zweitgrößten serbischen Stadt Niš, Zoran Živković, wurde am Tag der Demonstration vors Gericht geladen. Die gleichgeschalteten staatlichen Medien bezeichneten die Massenkundgebung als eine Versammlung von „Verrätern“ und „Handlangern der Nato“. Der regimenahe TV-Sender „Politika“ strahlte parallel zu der Demonstration sogar ein sensationelles Filmprogramm aus und riet den Zuschauern, zu Hause zu bleiben. Damit sie sich kostenlos „hervorragende“ Filme anschauen können, für die sie sonst im Kino zahlen müssten.

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