Yesterday‘s Hero


von GEORG LÖWISCH

„Sein großer Erfolg ist, dass er den Dialekt seiner sächsischen Heimat nicht verleugnet.“ Harald Schmidts Stimme schwillt an: „Andreeeaas, Sterniii Morgenstern!“ Ein junger Mann im dunklen Sakko eilt auf die Bühne, angetrieben von prasselndem Applaus, gemischt mit Trompetenmusik.

Der Fernsehapparat auf dem niedrigen Wohnzimmertisch ist klein, so dass sich Andreas Morgenstern ein wenig nach vorn beugen muss. Die Videoaufzeichnung bringt die Show noch einmal in die Leipziger Wohnung. Morgenstern schaut angeregt auf den Bildschirm. Wenn er lächelt, heißt das: Gleich kommt eine lustige Stelle, ein Lacher. Er hat es schon oft gesehen, „das Interview mit Harald“. Damals, vor der Sendung, kam Schmidt in die Garderobe und bot ihm das Du an. Und als er zu Beginn der Sendung den Sterni als „jungen Kollegen“ vorstellte, da verlor Morgenstern die Furcht, der Lästermeister könne ihn mit ein paar gepfefferten Ossiwitzen in die Pfanne hauen. „Du hast gemerkt, der hat Respekt vor dir. Der erkennt, dass du ein Kollege bist.“

Das Märchen

Es ist schon spät, fast Mitternacht. Andreas Morgenstern konnte nicht früher, weil er Schicht hatte. Im Dorint-Hotel, wo er an der Rezeption arbeitet, geht die Schicht von 14 bis 22 Uhr. Reservierungen annehmen, Gäste willkommen heißen, Preise verhandeln, Rechnungen ausstellen, für Tagungen disponieren. Morgenstern wollte schon immer in die Gastronomie, weil sein Onkel eine Kneipe hatte. Er lernte Koch. Er kochte sogar in der Sachsen-Auswahl mit, wurde Fünfter bei den Deutschen Mannschaftsmeisterschaften. Weil er mehr mit den Gästen zu tun haben wollte, packte er auf die Kochausbildung noch eine Lehre als Hotelfachmann drauf. Der Höhepunkt kam 1998, als er zwei Monate lang auf einem Schiff als Steward durchs Mittelmeer kreuzte.

Andreas Morgenstern erzählt von stundenlanger Arbeit, nach der er fast umgefallen ist. Er schwärmt von den Banketts, von Steaks, Pasteten, Gans, an die die Crew erst randarf, wenn der Küchenchef „Bingo!“ ruft. Er analysiert ausgiebig den Leipziger Hotelmarkt, wo im Preiskampf das Marriott und das Renaissance vorpreschen, weil sie weltweit 2.000 Hotels hinter sich haben. Dann denkt man: Der hat seine Branche gefunden. Er sagt: „Eigentlich ist das ’ne schöne Sache.“

Dass er „eigentlich“ sagt, hat damit zu tun, dass er vor einem Jahr für einen anderen Beruf entdeckt wurde. Die Geschichte noch einmal zu erzählen langweilt ihn nicht. Aber Märchen lassen sich schließlich auch unzählige Male erzählen, und diese Geschichte ist eins. Sie funktioniert ein wenig nach dem „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Schema. Sie beginnt damit, dass ein junger Hotelangestellter mit Freunden in einem Leipziger Straßencafé sitzt. Am Nebentisch die Fernsehchefin Christiane zu Salm aus München mit ihrem älteren Begleiter. Sie wird auf den 24-jährigen aufmerksam. Gesunde Gesichtsfarbe, topfiter Körper, als Teenie-Schwarm ideal. Und: dieser amüsante sächsischer Dialekt.

Andreas Morgenstern erzählt: „Sie fragt mich: Kennst du MTV? – Ich: Joa. – Sie: Dein Gesicht gefällt mir, wie heißt du? – Ich: Sterni. – Und sie: Sterni? Cool, ich bin die Christiane, ich ruf dich an.“

Er wird angerufen, er fliegt in der Business-Class nach München, er hat zwei Monate später beim Musiksender MTV seine eigene Sendung. Wird von Fremden erkannt, gibt Interviews, reist zur Kölner Popkomm, ist ein Star. Im Herbst berichtet Christiane zu Salm der Presse stolz, wie sie ihn in Leipzig „gespottet“ hat mit ihrem „superwachen Blick“. Sie sagt: „He's a character.“

In seiner Wohnung in Leipzig hat Sterni eine Ledercouch und eine Designerlampe aus Metall wie in einem richtigen Single-Apartment. Aber da stehen eben auch die Motorradmodelle von Andreas Morgenstern in der Kommode und Rennwagen in Rot und Silber. Und da hängen an einem Ehrenplatz die Hochzeitsfotos von den Eltern und der großen Schwester.

Morgensterns Hände und Arme formen sich beim Reden zu Bewegungen, die ein wenig kreuz und quer gehen, manchmal hält er inne und sucht das richtige Wort. Nicht wie einer, der seine Gesten beherrscht, der jede Pointe sicher platziert. Vielmehr wie ein Junge, der in der Schule von seinen Ferienerlebnissen berichtet.

Wenn er redet und dabei oft die Sitzposition ändert, ist es so, als stehe er noch mitten im Fernsehgeschäft. Als sei er immer noch Teil der Familie von Harald und Christiane, wo alle so spontan sind und sich duzen. Wenn er sagt, er war „komplett begeistert von der Technik“, ist er komplett begeistert. Wenn er von der MTV-Party in London mit „Cocktails bis zum Abwinken“ erzählt, dann stehen all die Gläser vor ihm. Er erzählt begeistert. Vielleicht gerade weil es seit Ende des Jahres vorbei ist. Die letzte Sendung lief kurz vor Weihnachten, danach kam nichts mehr. Das Handy spielt eine Melodie. „Hi“, sagt er und berichtet busy: „Ich bin gerade im Interview.“ Für einen Moment lebt die Vergangenheit wieder.

Bei MTV in München liegen die Dinge etwas anders mit Vergangenheit und Gegenwart. Der Video-Clip-Kanal benutzt zur Zeit den Slogan: „The future is present.“ Da ist es konsequent, dass Chefin zu Salm kein Interview zum Thema Sterni einschieben kann. Der sei halt „nicht wirklich ein spannendes Thema“, rutscht es ihrem Pressereferenten Johannes Gandenberger heraus. Aber weil beim Jugendsender alle sympathisch und nett zueinander sind, schiebt er nach: „Wobei er auch nicht ganz weg ist, sondern momentan keine Show hat, es aber in absehbarer Zeit auch kein Konzept gibt, dass er moderieren wird.“ Gandenberger würde offensichtlich gern den Eindruck vermeiden, dass seine Chefin das Interesse an ihrer Entdeckung verloren hat. Sie habe ja sehr viel zu tun, fällt ihm ein: „Obwohl ich wirklich direkt vor ihrem Büro sitze, krieg ich sie selbst oft nicht zu sprechen.“

Das klingt ziemlich eindeutig. Ein weggezappter Clip eben. Ein Ossi-Gag, der durch ist. Allein Sterni wusste eigentlich, dass er genau das nicht sein wollte. Von Anfang an nicht. Er sagt: „Ich wollte nicht der Clown sein.“ Den DDR-Trainingsanzug, den ihm die MTV-Leute hinhielten, hat er nicht übergezogen Und wenn er in der Sendung erklärte, was Leipziger Allerlei ist, dann weil sie im Westen wirklich nicht wissen, dass das keine Gemüsebeilage ist, sondern eine Spezialität mit Spargel und Krebsfleisch.

Er machte weniger Witze, gab dafür mal einen Tip für einen Stummfilm. Selbst der Welt am Sonntag-Kolumnist Josef Nyary, ein Mittfünfziger, der sonst wutentbrannt gegen den „Einzeller-IQ“ der Musiksender anschreibt, gestand ein: „Immerhin spart sich Morgenstern Flachsinn und Plattwitz.“

In seiner Wohnung führt Sterni mit dem Videorekorder seine Moderationen vor. Sein Vater hat sie alle aufgenommen. Die Ansagen sind wirklich nicht so flach. Aber Sterni spricht viel breiter Sächsisch als normalerweise, wenn er seine „Schtoriehs“ und „Kino-Dibbs“ bringt: „Nor, da isser widder, dor Schderni, und hier is widder em-de-vau bei MTV.“

Während er redet, sitzt er im Studio im Schneidersitz auf einem Plastikbaumstumpf, im Hintergrund lädt die Alm vor schneebedeckten Gipfeln ein, wie auf der schönsten DDR-Eigenheim-Tapete. Auf diese Kulisse haben die MTV-Produzenten genauso wenig verzichtet wie auf den breiten Dialekt. Vielleicht wollte Sterni kein Gag sein – seine Produzenten haben eben einen fröhlichen Sachsen gebraucht, bei dem die toten Hosen „de doudn Hoosn“ sind.

Er erzählt von dem Tag, „wie ich zu Harald geflogen bin“. Als er im Flugzeug nach Köln sitzt, sieht er unter den Geschäftsleuten einen mit weißen Turnschuhen und stone-washed Jeans. „So'n typischer dummer Ossi,“ sagt Sterni. Damit der Mann sich nicht am Flughafen verirrt, holt ihn eine Frau mit „Birte Karalus“-Pappschild ab. So heißt die Moderatorin einer Nachmittagstalkshow bei RTL. In diesen Sendungen, erklärt Sterni, muss ja immer ein dummer Ossi sitzen. Er aber reist zu Harald Schmidt. Ein MTV-Talker beim Late-Night-Talker. Sterni freut sich auf die Sendung, obwohl ihm an diesem Dezembertag schon klar ist, dass in einigen Wochen seine letzte Sendung läuft. „Im Prinzip hab ich gewusst: Du bist gar nicht mehr dabei.“

Ein Foto von Schmidt

In Sternis Fernsehapparat auf dem Wohnzimmertisch sagt Harald Schmidt: „Sterni, über deine Karriere brauchen wir uns keine Gedanken zu machen.“ Jetzt, nach drei Monaten und Sternis Aus bei MTV, bekommt der Satz eigentlich eine zynische Bedeutung. Zumal ihm Schmidt noch ein „Deu, deu, deu, gomm gut heeme“ hinterhersächselt. Sterni sieht das nicht so. Drüben im Flur hängt zur Erinnerung ein Foto von ihm und Harald Schmidt. Vor allem weil sich der Moderator nach der Show noch einmal persönlich bei ihm verabschiedete: „Harald hat gesagt: Wir sehen uns auf jeden Fall hier wieder. Wenn du nicht bei dem Sender bist, bist du halt bei nem anderen.“

Ende Februar hat Sterni zehn Probevideos an zehn Fernsehsender geschickt. Von der ARD bis zu Viva. Er will wieder ins TV-Geschäft. Eins weiß er. Wenn er im Fernsehen weiterarbeitet, dann nur in seiner normalen Sprechweise. Weder will er in Zukunft seinen Dialekt verstecken noch breites Sächsisch sprechen. „Das so extrem übertrieben weiterzuführen ist albern.“