: Big brother auf dem Weg zum Sielwall
■ Was grau auf der Dachkante hockt, muss nicht immer eine Taube sein / Datenschützer fordern strikte Regeln für Video-Überwachung: Stand der Gesetze entspreche nicht Stand der Technik
Der Große Bruder sieht dich: Auch in Bremen kommen sich das Orwell'sche Szenario und die Realität schleichend näher. Videokameras erobern den privat und kommerziell genutzten Stadtraum, die Gewoba will Problem-Wohnblocks elektronisch ausspähen, und sogar in einigen Taxen sind Kameras mit an Bord. In der Novelle des Bremischen Polizeigesetzes ist die Videoüberwachung von Kriminali-tätsschwerpunkten vorgesehen. Angesichts dieser Entwicklungen befürchten Datenschützer eine „Überwachungsinfrastruktur“, durch die wichtige Grundrechte bedroht sind.
In Bremen liebäugelt die Polizei beispielsweise mit einer Kameraüberwachung des Sielwall-Ecks, wo sich täglich Dutzende von Junkies treffen. Auch der Bahnhofsvorplatz steht auf dem Speiseplan von Innensenator Schulte. Bisher sieht man wegen fehlender rechtlicher Regelungen von fest installierten Beobachtungs-Kameras ab. Doch dies könnte sich – wie in Leipzig, Dresden und anderswo bereits geschehen – bald ändern.
Sven Holst, der vom Bremer Senat bestellte Vertreter des Landesbeauftragten für den Datenschutz, geht davon aus, dass „die Koalition das will“. Im Mai wird die Innendeputation über den inhaltlich bereits abgestimmten Entwurf der Polizeigesetz-Novelle beraten. Dieser beinhaltet nach Aussagen von Holst auch Regelungen für Videoaufnahmen im Vorfeld von Großveranstaltungen – Fußballspielen etwa – sowie für die Videographie in „Angsträumen“ wie Fußgängertunneln.
„Zunächst mal wird in Grundrechte eingegriffen, das muss man sehen“, so Holst. Während er eine flächendeckende Überwachung für grundgesetzwidrig hält, ist für ihn eine – „präventive“ – Beäugung von „Kriminalitätsschwerpunkten“ unter bestimmten Voraussetzungen akzeptabel: Zweckbindung, Sichtbarkeit des Aufnahmegerätes, strikte Einschränkung von Bildaufzeichnungen sowie eine regelmäßige Überprüfung, ob die jeweilige Kamera noch Sinn macht, zählen dazu. Wenn ein „Schwerpunkt“ keiner mehr ist, soll der Aus-Knopf gedrückt werden.
Der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner erkennt hier jedoch eine Fehleinschätzung: Da die Videokameras Kriminalität nicht verhindern, sondern lediglich verdrängen würden, gerate eine verhängnisvolle Kettenreaktion in Gang. Früher oder später müssten neue Bereiche observiert werden – bis sich die ganze Stadt im Focus der Kameras befinde.
Die Freiheit der BürgerInnen ist auch da bedroht, wo private und halböffentliche Räume – von denen es zunehmend mehr gibt – elektronisch überwacht werden. In der Innenstadt etwa wird videographiert, was das Zeug hält: Bei Karstadt spähen Detektive nach diebischer Kundschaft, in Einkaufspassagen zielen Kameras auf die Flaneure, beim Kaffeeröster flimmert ein Monitor, und auch am Schalter der DB AG blickt einem eine blauschwarze Linse entgegen. Und was macht die graue Röhre auf dem Hochhaus unweit des Bahnhofs? Den Verkehr beobachten, sagt die Polizei.
Auch diese Ungewissheit ist es, wodurch die „informationelle Selbstbestimmung“ des Einzelnen Schaden nimmt. Man weiß nicht, wer guckt, was der Unbekannte sehen kann und wohin die Bilddaten fließen. Problematisch ist vor allem, dass fest installierte Kameras unterschiedslos jede Person, die in ihren Blick gerät, überwachen helfen. Bereits eine halbe Million solcher Fest-Installationen soll es deutschlandweit geben. Und die Geräte sind technisch so fit, dass man mit ihrer Hilfe vom Hochhausdach aus die Klingelschilder entziffern kann – so, wie ursprünglich bei der Gewoba geplant.
„Es gibt noch keine der Technik adäquate gesetzliche Regelung“, sagt Datenschützer Holst. Das „Recht am eigenen Bild“ beziehe sich auf ein Gesetz aus dem Jahr 1907. Der Bundesgerichtshof hat 1995 immerhin geurteilt, dass die „Herstellung von Bildnissen einer Person“ mittels Videokamera in öffentlich zugänglichen Bereichen einen unzulässigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt. Holst und seine Kollegen aus den anderen Bundesländern fordern nun, den privaten, aber öffentlich zugänglichen Raum – wie etwa städtische Passagen –, rechtlich dem öffentlichen Bereich gleichzusetzen. hase
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