: Vom Streik zur Hochschuldebatte
Ob und wie Hochschulpolitik funktioniert, hängt auch davon ab, welche Akteure worüber bestimmen dürfen. Wege zu konstruktiver Arbeit suchen die Berliner Hochschuldebatten – entstanden aus Initiativen des Uni-Streiks von 1996
von MARTIN KALUZA
Je stärker man den Eindruck hat, in der Hochschulpolitik bewege sich nichts, desto stärker bewegt sie zumindest die Menschen.
Zum Beispiel was die Einführung von Studiengebühren angeht: Während das Centrum für Hochschulentwicklung ein ausgeklügeltes Gebührenmodell vorstellt, bei dem das Geld den Studierenden folgen soll, bringt die Hans-Böckler-Stiftung ein System von Bildungsgutscheinen ins Gespräch. Einige Bundesländer führen schon mal Verwaltungsgebühren ein, die Studenten protestieren dagegen, und die Bundesbildungsministerin erklärt kategorisch, dass es mit ihr im Erststudium keine Studiengebühren geben werde.
Dieses Szenario nehmen die Berliner Hochschuldebatten zum Anlass, um morgen auf ihrer vierten Veranstaltung zu fragen, wer überhaupt die wichtigsten Akteure der deutschen Hochschulpolitik sind. Um Studiengebühren soll es dabei gar nicht einmal gehen: Sie sind das Beispiel, anhand dessen die Gesprächsteilnehmer eine viel grundsätzlichere Frage ergründen möchten: „(Wie) funktioniert eigentlich Hochschulpolitik?“ Zu den Gästen werden Peer Pasternack vom Wittenberg-Institut für Hochschulforschung, ein Mitglied der Hochschulrektorenkonferenz und mit Anke Hollerbach von der Fachhochschule Eberswalde die einzige studentische Vizepräsidentin einer Hochschule gehören.
Ins Leben gerufen wurde die Veranstaltungsreihe von zwei Studententinitiativen, die sich während des Uni-Streiks an der FU 1996 unabhängig voneinander gegründet hatten: die fächerübergreifende „Gähnende Lehre?“ und „Kant 64“, zu der außer Studierenden auch Lehrende des Instituts für Philosophie gehören. Seit November letzten Jahres laden sie, gemeinsam mit der Heinrich-Böll-Stiftung, hochschulpolitisch Interessierte und Verantwortliche aus Politik und Wissenschaft zu den „Berliner Hochschuldebatten“ ein.
Ein ambitioniertes Projekt: Das deutsche Bildungssystem, so die Veranstalter, ist eine Baustelle, auf der überall repariert wird. Die Debatten sollen die Diskussion um Wissenschaft und Bildung von den allfälligen Standortüberlegungen wieder zurück auf wirkliche hochschulpolitische Fragen lenken und „Bildung parteiübergreifend zu einem Politikum, zu einer öffentlichen Angelegenheit“ machen. Dahinter steht die Suche nach einer „Planung, die die Veränderungen und Experimente in einen sinnvollen Zusammenhang stellt“.
Das Vorhaben stößt auf rege Resonanz. Schon über die erste Veranstaltung, in der über die Rolle der Universität in der Wissensgesellschaft gestritten wurde, berichteten überregionale Medien, und zur Debatte „Wozu braucht braucht Berlin drei Universitäten?“ erschienen alle drei Präsidenten.
Damit in den Debatten vor allem die studierenden Gäste gegenüber den geladenen Referenten nicht zu kurz kommen, wurde seit dem letzten Mal gar das Podium abgeschafft: Die Teilnehmer sitzen mehrreihig im Kreis, zwischen den Referenten bleiben immer Stühle für das Publikum reserviert. Das ist nur konsequent – ging es doch den Initiativen „Kant 64“ und „Gähnende Lehre?“ von Anfang an darum, den Standpunkt der Studenten mit neuen Aktionsformen wieder ins Spiel zu bringen.
„Der Streik war sehr von Aktionismus geprägt, was ja auch erst mal wichtig ist, um Öffentlichkeit zu erreichen“, erklärt Stephan Ertner von der „Gähnenden Lehre?“, „wir wollten aber auch in eine inhaltliche Diskussion einsteigen.“ Im Dezember 1998 rief die Initiative zu einer bundesweiten Tagung über Zukunftsperspektiven universitärer Bildung auf, im vergangenen Jahr folgte im Wissenschaft und Technik-Verlag der Tagungsband „Gähnende Lehre?“. Auf der Tagung stellte die Gruppe „Kant 64“ ihre „Überlegungen zur Reorganisation des Universitätsstudiums“ vor. Sie war über die Beschäftigung mit der Finanzmisere der Unis anlässlich des Streiks darauf gekommen, verschiedene Strukturpläne zu entwerfen – zunächst für den eigenen Studiengang am Institut für Philosophie.
Für die Zukunft sind unter anderem die Themen „Studiengänge im internationalen Vergleich“ und „Natur- und Geisteswissenschaften QP zwei Kulturen, eine Universität“. Auf der morgigen Debatte stellen sich die Veranstalter nicht zuletzt selbst der Frage, welche Rolle sie spielen können. Einer der Themenschwerpunkte heißt „Gut, dass wir darüber geredet haben – haben Initiativen wie die Berliner Hochschuldebatten Wirkung?“.
Vierte Berliner Hochschuldebatte: „(Wie) funktioniert eigentlich Hochschulpolitik?“ Di., 18. April, 19 Uhr, in der Galerie der Heinrich-Böll-Stiftung, Rosenthaler Str. 40/41, Telefon 030-28 53 44 10. Infos: www.hochschuldebatten.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen