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Der Fall Peter Röder

Seit seiner Schreinerlehre leidet Röder an MCS. Sein Pech: Die Krankheit ist weitgehend unbekannt

WÜRZBURG taz ■ Für Peter Röder kommen Messungen und eine offizielle Anerkennung der Berufsunfähigkeit zu spät. Immer wieder setzte ihm seine Krankheit in der Vergangenheit Grenzen, trennten sich ansonsten zufriedene Arbeitgeber wegen „Allergien“ von ihm. Und dann das Misstrauen von Bekannten – denn wer auf so viele Chemikalien heftig reagiert, mit denen andere sorglos umgehen, kann nur arbeitsscheu sein, ist die häufige Vermutung.

Das Misstrauen derer, die MCS (Multiple Chemical Sensitivity) nicht als Krankheit anerkennen, hatte im Fall Röder schlimme Konsequenzen. Der geschiedene Schreiner war nicht mehr arbeitsfähig – das konnte er durch ärztliche Gutachten belegen – und kam mit den Unterhaltszahlungen für seine Tochter in Verzug. Seine ehemalige Frau verklagte ihn dennoch auf Unterhalt, und vor dem Amtsgericht in Gemünden half ihm das Gutachten wenig. „Sie können doch arbeiten“, meinte der Richter und verurteilte Röder zu einer Haftstrafe von zweimal vier Monaten wegen Unterhaltsverletzung.

Bevor Röder am 14. Oktober 1997 in die Justizvollzugsanstalt Aschaffenburg einzog, konsultierte er seinen Facharzt, Dr. Ohnesorg in Würzburg. Dessen Attest über eine Lebensmittelallergie und Probleme mit alltäglichen Stoffen wie Putz- oder Desinfektionsmitteln legte Röder nicht nur der Gefängnisärztin vor, sondern auch dem Gemündener Richter und dem Staatsanwalt.

Das Attest beeindruckte nicht. Die Gefängnisärztin bezeichnete den Facharzt als Scharlatan und „Ökochonder“, erinnert sich Röder. Dem Delinquenten wurde zunächst die übliche Gefängniskost samt Konservierungs- und Süßstoffen serviert. Die Folge: In nur vier Monaten erlitt Röder 70 Kreislaufzusammenbrüche, zwei Darmverschlüsse mit Thrombosen, schwere Magen- und Darmschäden mit Blutungen, Nierenkoliken und Erstickungsanfälle.

Behandlungsversuche verschlechterten Röders Lage in der Haft. Erst als sein Krankheitszustand lebensbedrohlich wurde, bekam er am 21. Januar 1998 eine Kochplatte in die Zelle. Dort bereitete er sich aus Gemüse, Obst, Reis und manchmal Fleisch eine allergiegerechte Nahrung zu. Ein Wasserfilter folgte – das Aschaffenburger Wasser war zu dem Zeitpunkt belastet und etwa für Babynahrung nicht freigegeben – und Schonkost, von der Gefängnisärztin verordnet. In Röders Krankenakte aber steht, Wasserfilter und Schonkost wären schon am 20. Oktober 1997 verordnet worden. „Dieser Vermerk ist eine Fälschung“, ist sich Röder sicher. Der gleichen Meinung seien auch Ärzte, mit denen er gesprochen habe. Die Umstände von Haft und Verurteilung sind nun durch Röders Rechtsanwalt Hans Georg Weit aus Karlstadt dem Menschenrechtsausschuss des Bundestages vorgelegt worden.

Die Lage des MCS-Kranken hat sich durch die Haft jedenfalls verschlimmert. Er leidet nun an permanenten Magen- und Darmblutungen. Schwere Schäden in der Speiseröhre, in Magen, Zwölffingerdarm und im Rektum sind ärztlich nachgewiesen. Er riecht und schmeckt nichts mehr und ist seit seiner Haftentlassung krankgeschrieben.

Peter Röder verklagt nun das Land Bayern als Träger des Gefängnisses. Über eine Entschädigung hinaus will er Gerechtigkeit – auch für andere MCS-Kranke. PETER SCHRAMM

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