: Echt familienfreundlicher Softporno
Wie eine Fortsetzung von „Verbotene Liebe“ mit allen Mitteln: „Der Kuss meiner Schwester“ (20.15 Uhr, RTL)
Es gibt noch Ortschaften im Odenwald oder Täler auf der Schwäbischen Alb, die sich durch jahrelangen Inzest aus der Gesellschaft herausgemendelt haben. Es gibt sie, die stickigen Kinderzimmer im Ruhrpott, wo die Backstreet Boys von ihren Postern herabblicken auf die Blutschande im Zwielicht. Nein, Inzest ist kein Spaß.
Weil aber „Der Kuss meiner Schwester“ Spaß machen soll, siedelte RTL seinen „großen TV-Roman“ im Bayerischen Voralpenland an. In diesem Idyll lebt der 17-jährige Mattis Lomberg mit seinem Vater Jan und dessen neuer Frau. Als Mattis’ Zwillingsschwester Mieke von einer langen Reise heimkehrt, wird das Problem rasch offenbar: Wasser plätschert, Sonne brennt, Pollen fliegen, Bruder und Schwester haben bald ein Geheimnis. Von dem natürlich niemand wissen darf, nicht der chaotisch-liebevolle Vater, schon gar nicht die KlassenkameradInnen auf dem Gymnasium. Ab hier bleibt der Film – bis zu seinem routinierten Ende – in einer dramaturgischen Schwebe: Wann kommt raus, was nicht rauskommen darf und doch rauskommen muss?
Freilich wird nicht verhandelt, was die beiden Geschwister eigentlich zu ihrem Treiben veranlasst. Stattdessen werden dem Zuschauer drei Erklärungen ans Herz gelegt: zum einen die „wahre Liebe“ – kommt immer gut und muss man nie erklären. Zum anderen die beiden Brüste vom Mieke – kommen noch besser und lassen sich stets hübsch in Szene setzen. So treibt Regisseur Dror Zahavi nicht nur mit dem Entsetzen seinen Spaß, sondern verpackt ihn zudem in einen familienfreundlichen Softporno.
Alexandra Schalaudek gibt die verruchte Unschuld mit rehäugiger Wollust. Ihr gegenüber agiert Florian Heiden als biederer Mattis, der, gerade erst zu Ende pubertiert, den Avancen seiner Schwester nachgibt. Dann ist da noch der Vater, den August Zirner mit waidwundem Blick als deutschen John Hurt gibt. Und weil auch der Blick des Films ein männlicher ist, sehen wir die Mieke mit nassem T-Shirt im Garten, halb nackt auf der Luftmatratze, nackt am Strand, unter der Dusche, im Bett.
Da ist es eine schöne Pointe, wenn sich Mattis seinem besten Freund Felix anvertraut. Felix wird nämlich von Christian Wunderlich dargestellt, der ebenso wie Alexandra Schalaudek zum Ensemble der ARD-Seifenoper „Verbotene Liebe“ gehörte. Die spielte jahrelang mit dem Thema Inzest, spielte es aber nie so schamlos aus. ARNO FRANK
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