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Einmal Tahiti, nie mehr derselbe

■ Andreas Kollenders Debütroman „Teori“ adaptiert Georg Forsters Reiseklassiker

Georg Forster wusste von den Tropen zu erzählen – er war der Chatwin und der Levi-Strauss seiner Zeit in Personalunion. In ganz Europa las man seine Reise um die Welt, entstanden aus den Aufzeichnungen einer Expedition 1772– 75 an Bord von Kapitän Cooks Resolution. Offiziell galt die Forschungsreise der legendären terra australis, aber der eigentliche Magnet für die Mitfahrenden war ein anderer: Tahiti, das „Zauberwort“, die Verheissung tropischer Sorglosigkeit und Freizügigkeit.

Wie für den siebzehnjährigen Forster die Fahrt in die Südsee zum Erweckungserlebnis wurde, versucht der Hamburger Andreas Kollender in seinem ersten Roman Teori nachzuvollziehen. In einer eher spärlichen Rahmenhandlung begegnet der Leser dem älteren Georg Forster im Paris des Jakobinerterrors, wo er die Erlebnisse und Einsichten jener Reisejahre noch einmal erzählt – als seinen eigenen Entwicklunsroman gewissermaßen.

Im Laufe seiner Begegnungen mit den Inselvölkern gelangt der junge Georg alias Teori zu einem gereiften, realistischen Blick, der den Reisegenossen abgeht. Wo der Maler Hodges die Eingeborenen in römischen Tuniken verewigt, der Kapitän sich anmasst, jede „neu“ entdeckte Seitenbucht nach einem Europäer zu benennen und die Matrosen sich wie Sextouristen auf die Tahitianerinnen stürzen, ist es ihm darum zu tun, dem Fremden in seiner Eigentümlichkeit näherzukommen: „Erwartungen waren geistige Kolonisierungen. Er wollte lernen, sie abzustellen.“

Montageartig, ohne die Brüche zu kommentieren, setzt Kollender die erinnerten Szenen aneinander. Sein Schreiben ist zum großen Teil Beschreibung: Einschneidende Erlebnisse des jungen Forster wechseln sich mit den alltäglichen Erfahrungen des Schiffslebens wie in einem Logbuch ab, auf die Gefahr ihrer Einebnung hin. Auch die verhaltene Lakonie der Sprache droht mal ins Beiläufige, mal ins Angestrengte umzukippen. Vielleicht aus dem Bemühen heraus, Gefälligkeit und platte Deutlichkeit zu meiden, erhebt Teori die Zurückhaltung zum Formprinzip – vielleicht auch, um die humane künstlerische Wahrnehmung vorzuführen, deren Entwicklung geschildert wird.

Im Einzelnen gelingen dabei sehr präzise und eindringliche Szenen, im Großen wirkt die Entkopplung von Erzählrhythmus und Entwicklungslogik allzu konzeptartig. Wenn Kollender auf Aneignung ganz verzichten wollte, hätte er es mit Forster halten können:„Wir sollten segeln, die Fremden an Bord holen, sie Berichte schreiben lassen und mit diesen Berichten sollten wir heimkehren.“ Nur: Einen Autor bräuchte es dafür nicht. Felix Koch

Andreas Kollender, Teori, dtv 2000, 216 Seiten, 28 Mark

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