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Soundduschen im Monodom

Die ehemalige „Lyche“ lädt zu einer leisen „Disco im Kopfhörer“ und einem schweigenden Kaffeeklatsch

Heute drehen wir mal die Musik nicht so laut auf, dann freuen sich auch die Nachbarn. Noch besser, wir lassen den Regler ganz unten, ziehen alle Kopfhörer auf und verteilen uns im Raum. Wir wippen zum Takt der elektronischen Musik und bewegen vorsichtig die Beine, soweit das Kabel zur Anlage es uns erlaubt. Das finden wir toll und liefern damit den Beweis, dass auch ohne laute Musik ordentlich gefeiert werden kann.

Die „Disco im Kopfhörer“ heute abend in der ehemaligen Lyche, die jetzt Ausland heißt, ist aber nicht aus einer originellen Partyidee entstanden, sondern gezwungenermaßen aus dem baulichen Zustand des Gebäudes: Der Veranstaltungsort im LSD-Viertel im Prenzlauer Berg musste geschlossen werden, weil der den Anforderungen des Lärmschutzes nach dem Umbau des Hauses nicht entsprach. Diesen Umstand machten die ehemaligen Mitarbeiter der Lyche und die des Anoraks, einem ebenfalls geschlossenen benachbarten Club in der Dunckerstraße zum Programm ihres Festivals „Leise im Ausland“.

Dieses bietet bis Samstag Performance, Spoken Word, Theater und Konzerte auf Zimmerlautstärke. Die Lyche wie der Anorak waren beide Hinterhofclubs in besetzten Häusern und bekannt als „Sammelpunkte der Szene für Improvisationsmusik und Nährboden für neue Pflanzen in der Berliner Off-Kultur“, sagt Felix Bübl, Mitorganisator des Leise-Festivals.

Im Vordergrund habe nicht die Professionalität und die Kommerzialität gestanden, sondern die Experimentierfreudigkeit der Künstler, die sich als Mitarbeiter ihre eigene Bühne schaffen konnten. Die Konzertorte verbindet eine ähnliche Geschichte: Sie fielen, wenn auch auf unterschiedliche Weise, Sanierungen zum Opfer. Der Anorak musste vor zwei Jahren schließen, als das Gebäude renoviert, die besetzten Wohnungen in Mietobjekte umgewandelt wurden und die neuen Mieter sich über über den Lärm aus dem Keller beschwerten.

Im Kellerraum des früheren Anoraks befindet sich jetzt der Gemeinderaum einer christlichen Basisgemeinde. Das besetzte Haus der Lyche renovierten die Bewohner selbst, wobei bestimmte Vorschriften nicht eingehalten wurden. Für den nachträglich notwendigen Umbau wurden bereits Förderungen bei der Lottostiftung beantragt. „Die Gelder sind nicht für die reguläre Ausgaben des Senats, aber meistens bekommen dann doch Theater und Schulen die Zuschüsse“, beurteilt Conrad Noack, ein Mitinitiator des Festivals die Lage.

„Leise im Ausland“ soll auf die schlechte Situation aufmerksam machen und gleichzeitig als Treffpunkt für die Künstler dienen. Heute ist die Ausstellungseröffnung mit Klanginstallationen wie der Lautsprecherdusche „Monodome Soundshower“, anschließend gibt es Performance mit einem „Megaphonchor“ und danach die besagte Kopfhörerdisko. Morgen Nachmittag wird ein schweigender Kaffeeklatsch ohne den üblichen Tratsch abgehalten.

Weitere Programmpunkte sind ein Theaterstück, Dada-Lautpoesie von Alistair Noon und ein Mitternachtskonzert mit „elektronischen Apparaten und Cello“ von Daniel Weaver, ehemals von Stock, Hausen und Walkman. Am Samstag wird ein Laptopworkshop veranstaltet, abends versüßt die Gruppe Guestar den Festivalsausgang mit leisem französischen Pop. VERENA DAUERER

Do und Sa ab 18 Uhr, Fr ab 15.30 Uhr, Lychener Str. 60, Prenzlauer Berg; http://kickme.to/ausland

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