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We’ll never stop living this way

Wo die Geschichten anderer Leute enden, fängt seine an: Ein Porträt des ehemaligen Lords-Bassisten und Rias-Moderators Lord Knudvon CORNELIUS TITTEL

Dahlem-Dorf, Vorstandsvorsitzenden-Idylle. Lord Knud wohnt standesgemäß. Trotzdem wirkt sein angegrauter Sechzigerjahre-Bungalow ein wenig deplatziert in dieser Gegend. Vielleicht ist es der rote „On Air“-Leuchtkasten im Fenster, vielleicht sind es die Aufkleber an seiner Tür: Einer fordert Ausländer auf, uns mit diesen Deutschen nicht allein zu lassen, ein anderer empfiehlt ahnungslosen Besuchern, vor Betreten des Hauses Lärmschutzkopfhörer aufzusetzen.

Eigentlich schwer vorstellbar, dass Berlins ehemals notorischster Partyschreck mit seinen Nachbarn gut auskommt und die Vorzüge eines Lebens im bürgerlichsten Teil der Stadt wirklich zu schätzen weiß. Er arbeite halt gerne im eigenen Garten, irritiert mich der einstige Lords-Bassist, Star-DJ und Rias-Moderator, um dann aber anzufügen: „Dahlem-Dorf ist und bleibt ein Problembezirk. Versuch mal nachts einen Sixpack und ein paar OCBs zu besorgen. Dann weißt du, was ich meine.“ Wenn er Sätze wie diese sagt, wartet er einen kurzen Augenblick auf die Resonanz seines Gegenübers und lacht dann ein tiefes, kehliges Lachen, das immer wieder in Husten übergeht.

Wenig bis gar nicht geschlafen habe er die letzten Tage, sagt Knud. Der Grund: sein 56. Geburtstag. Da galt es, eine Nacht mit dem einstigen DJ-Wunderkind Kid Paul durchzumachen, die nächste mit alten Freunden und schließlich auch noch den sonntäglichen Familienaufzug hinter sich zu bringen. Das volle Programm eben, Feiern ohne Ende, Knuds Profession und Berufung seit vierzig Jahren.

Was man ihm auch ansieht: Reichlich zerknautscht wirkt er an diesem Nachmittag, sein graues Haar steht wirr in alle Richtungen ab, und sein knallfarbener Techno-Pulli, vor sechs Jahren der letzte Schrei in der Szene, steht dazu in einem reichlich grotesken Kontrast. Während ich mich über die kühlschrankgroße Bass-Box seines Studios wundere, holt Knud eine Kanne Kaffee aus der Küche und erzählt dann, dass er jahrelang gespart und auf Urlaube verzichtet habe, um seine „Anlage“ zum feuchten Traum eines jeden High-End-Audio-Fanatikers aufzurüsten. „Früher im E-Werk hatten sie die gleichen Boxen“, grinst er, „und der E-Werk-Sound war bekanntlich nicht der schlechteste. Als Kid Paul Freitagnacht hier war, habe ich mir jedoch ein bisschen Sorgen gemacht. Die Nachbarn haben aber nicht mal die Polizei gerufen.“

Er lacht, hustet, ist aber sichtlich stolz, dass er der Einzige ist, für den der ehemals international umjubelte Kid Paul seinen nun schon fünf Jahre zurückliegenden Schwur bricht, nie mehr vor Publikum aufzulegen. Knud ist kein Unbekannter in der Clubszene, die Terranova-Crew geht bei ihm ein und aus, Techno-DJs wie Woody, Clé und Westbam gehören zu seinen Bekannten, und oft sieht man ihn in den Clubs, wo er begeistert neben den Plattentellern der DJs steht und zappelt.

„Töne sind meine Währung, da freue ich mich natürlich, wenn die besten DJs vorbeikommen und mir die frischsten Tunes vorspielen. So bin ich immer auf dem neuesten Stand, ohne Unmengen an Geld für Platten auszugeben.“

Seine Affinität zu aktuellen und ehemaligen Leitfiguren der Clubkultur, sein Anspruch, nicht eine wichtige Clubnacht zu verpassen, kommt nicht von ungefähr: Lord Knud war für die Sechziger, was die Väths und Westbams für die Neunziger waren, Popstar und DJ in Personalunion.

Seine kurze, aber erfolgreiche Karriere als Bassist der Beat-Gruppe „The Lords“ endet 1965 abrupt mit einem schweren Autounfall, bei dem Knud ein Bein verliert. Eine Boygroup mit einem schwer behinderten Bassisten, das passt nicht, und so wird er schnellstens aus der Band geworfen. Die Rest-Lords halten es nicht einmal für nötig, Knud im Krankenhaus zu besuchen. Eine Zeit, über die er merklich ungern spricht. „Das war schon hart. Da lag ich nun mit Bein ab, mein letztes Stück mit den Lords auf Platz 1, ausgerechnet „Poor Boy“, und nicht einer von denen lässt sich blicken.“

Kein Spaß, diesmal hustet er, ohne vorher zu lachen, und für einen kurzen Moment sieht es so aus, als hätte ihm der bloße Gedanke an die Lords ernstlich den Tag verdorben. Zehn Sekunden und drei zusammengeklebte Blättchen später aber ist er wieder auf dem Damm.

Wo die Geschichten anderer Leute aufhören, fängt seine erst an. Nur wenige Monate später schlägt seine große Stunde. Die Rolling Stones spielen in der Waldbühne, Bänke gehen zu Bruch, Panik bricht aus und die junge Republik sieht einen ihrer ersten Riots. Knud hat die scheinbar undankbare Aufgabe, Gastgeber der After-Show-Party im Hajo-Club am Nollendorfplatz zu sein.

Ein Glücksfall, wie sich herausstellt: „An dem Abend befand sich die Stadt im Ausnahmezustand und die Polizei hatte ein Bandverbot über den Club verhängt. Draußen standen hunderte von Menschen, und ohne Musik drohte der Abend ein komplettes Desaster zu werden. Der Besitzer fragte mich, ob ich nicht den DJ machen könne. Ich hatte das Wort noch nie gehört, er erklärte mir, was er meinte, und besorgte zwei Plattenspieler. Ich fuhr nach Hause, schnappte mir einen Schuhkarton voll Singles und das war’s dann. Die Leute drehten durch, die Zeitungen schrieben: ‚Lord Knud jetzt Plattendreher‘, und das ganze Ding wurde zum Selbstläufer.“

Seine von nun an regelmäßigen Gigs werden zur Hauptattraktion des Hajo. Der junge Rolf Eden macht ihn zum Star seines Eden’s Playboy und stellt ihm Ingrid Steeger als Go-go-Girl zur Seite. Schnell beginnt Knud auch außerhalb Berlins aufzulegen und von Sylt bis St. Moritz Schecks und Meriten zu sammeln. Das Plattendrehen im zweiten Bildungsweg verspricht ihm weitaus mehr Glamour und Aufregung als sein vergleichsweise tristes Bravo-Starschnitt-Dasein von einst. Sein Leben wird endgültig zu einer Endlosparty. Nach der Party ist vor der Party, Knud schmeißt die der Bismarcks und Flicks, Champagner und Kokain bringen ihn durch die Tage. Er testet Gunther Sachs’ Pool, lässt sich von seinem langjährigen Busenfreund Udo Jürgens ein edles Holzbein schenken und beschallt über Jahre hinweg jede Couture-Show und Party Karl Lagerfelds.

Mit etwas gemischten Gefühlen blickt er heute zurück: „Das war schon anormal, wie wir es damals haben brennen lassen. Ich bin damals nur noch in Privatmaschinen geflogen und hab meinen Moet immer ohne Gläser bestellt. Stolz kann man darauf natürlich nicht sein. Meine Eltern haben von Krieg und Wiederaufbau geredet, ich vom Saufen und Ficken. Da verliert man schnell den Blick für die wirklich wichtigen Dinge im Leben.“

Überhaupt: Den Blick für etwas verlieren, Prioritäten durcheinander bringen. Beides ist eine Spezialität von Knud, früher wie auch heute. Allein in seinem labyrinthischen Wohnzimmer herrscht ordentliches Durcheinander: Zwei Wände sind bedeckt mit Schlagzeilen von Bild und BZ, Marke: „Lord Knuds Freundin: Selbstmordversuch“. Überall stapeln sich Schallplatten, ein ganzes Sofa verschwindet unter haufenweise alten und neuen Zeitungen. Und der Tisch mit seinen Tabakkrümeln, Rauchutensilien und dem im Laufe des Nachmittages immer kleiner werdenen Haschischbrocken würde sich auch gut in so mancher WG im Prenzlauer Berg machen.

Ein bisschen den Überblick verlor er schließlich auch 1966, als er Rias-Moderator wurde. Seine „Schlager der Woche“-Show („die hieß nur so“) entwickelt sich im Laufe der Jahre mit Einschaltquoten um die 70 Prozent zur erfolgreichsten Radiosendung Berlins. Doch plötzlich sind es nicht mehr nur Society-Größen, die seine Gesellschaft suchen. Vor allem CDU-Politiker lassen sich zunehmend gerne mit ihm fotografieren. Lord Knud gerät in die Mühlen des Berliner Klüngels.

„Ein grober Fehler, den ich heute bereue. Ich hab mich einspannen lassen, später sogar Wahlkampfveranstaltungen moderiert und dabei nicht schlecht verdient, immer schwarz und steuerfrei, versteht sich. Da hätte ich mich wirklich raushalten sollen. Aber wenn man eigentlich ein Schuhverkäufer mit acht Jahren Schulbildung ist, zusätzlich noch ein bisschen von der Rolle, und auf einmal sind die Weizsäckers und Kohls, die Schamonis und Diepgens fürchterlich nett zu dir ... da kann so was passieren.“

Auf Rias bedient er im Dampfplauderton konservative Ressentiments –- ob SPD, linke Studenten oder die Frauenbewegung, alle bekommen ihr Fett ab. Die Berliner CDU-Granden aber lieben ihn. Er sei in den Siebzigern ein richtiger Radiorechtsaußen gewesen, gesteht er. Doch wenigstens der jetzige 100,6-Chef und Bild-Kommentator Georg Gafron, „Landowskys Medien-Gauleiter“, habe ihn dann irgendwann auf der Kriechspur überholt.

Da lacht er wieder, steckt sich noch eine Spaßzigarette an und erzählt, wie widersprüchlich auch diese Zeit vorüberging. Er lernt Wolfgang Neuss kennen, Juppi von der Ufa-Fabrik, SDS-Müller und Tornado-Günther. Mehrmals die Woche ist er bei Neuss. Kiffen, diskutieren, noch mehr kiffen hieß das, Berührungsängste schien es keine zu geben.

Auch Mathias Bröckers, damals einer der ersten taz-Kulturredakteure, war Dauergast bei Neuss. Er errinnert sich, dass Knud einen klaren „Irrenbonus“ gehabt habe. Es hätte niemanden wirklich gestört, wenn er gerade von Heinrich Lummers Geburtstagsparty kam. „Wenn ihr wüsstet, mit was für Arschlöchern ich gerade zusammen war, würdet ihr nie wieder mit mir an einem Joint ziehen“, hat Knud Bröckers zufolge mehr als nur einmal gesagt.

Krumm genommen hat man ihm keine seiner Politfreundschaften. Das lief eher umgekehrt – beim Rias beginnt man sich Sorgen um die Linientreue des Quotenwunders zu machen. Obskure Programmhinweise häufen sich, und als Wolfgang Neuss beginnt, die Scripts für Knuds Sendung zu schreiben, reißt der Geduldsfaden der Programmdirektoren langsam, aber sicher.

„Ich wurde untragbar für den Rias. Vor meinen Shows war ich immer bei Neuss, habe mir Gags abgeholt und sah meistens nicht mehr so frisch aus, wenn ich im Sender ankam. Ich bin mehrmals fast rausgeschmissen worden, und 1986 war dann endgültig Schluss.“ Seine CDU-Kumpane können oder wollen nicht mehr helfen und er muss sich mit dem Gedanken anfreunden, arbeitslos zu sein. Im Nachhinein aber ist er froh, dass Neuss ihn „gerettet“ hat, „20 Jahre Radio waren genug, ich musste dann erst mal wieder normal sprechen lernen.“

Ein Leben ohne Radio allerdings gibt es auch heute nicht für ihn: Schlappe 14 Jahre nach seiner letzten Sendung arbeitet er daran, wöchentlich eine Show ins Internet zu stellen. Das große Evergreens-a-go-go-Revival ist von Lord Knud jedoch nicht zu erwarten. Nicht umsonst hat er das letzte Jahrzehnt zwischen Planet, Tresor, E-Werk und WMF verbracht. „Ich liebe die neuen Sounds“ sagt er, und das klingt, als würde er von seiner ersten großen Liebe sprechen. Dann schiebt er langsam den Volumenregler nach oben. Ein DAT, beim letzten Besuch der Terranova-Crew mitgeschnitten, lässt die Scheiben zittern, zwei Schachfiguren fallen aus dem Regal. Was am Ende des Tages bleibt, sind Bässe, Frequenzen und Sounds. Lord Knuds Augen funkeln, und strahlend schiebt er den Regler noch höher.

Zitat:„Dahlem-Dorf ist und bleibt ein Problembezirk. Versuch hier mal nachts einen Sixpack und ein paar OCBs zu besorgen. Dann weißt du, was ich meine.“

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