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: HELMUT HÖGE über Kinderglück

WANDERTAG? JA, WANDERTAG!

Bedingt durch Lehrerstreik und schönes Frühlingswetter wimmelte es überall von Kinder- und Jugendgruppen, selbst Alleinerziehende spendierten ihrem Einzelkind einen Wandertag. Da kam Freude auf! Zum Beispiel auf der „richtigen Eisenbahn“ im Kinderparadies Wuhlheide, wo man die Nachzucht mit Bastel- und Musikangeboten bei Laune hielt. In der Kreuzberger Schülerzeitung „Borsign“ berichten die Redakteure über ihren Wandertag nach Tegel: Wegen Regens absentierten sich einige Schüler und schlossen sich in einer dieser musikbeschallten neuen „City-Toiletten“ ein. Ihr Artikel über diesen Wandertagsspaß fiel derart euphorisch aus, dass ich die teuren Scheißhäuser seitdem mit anderen Augen sehe. Nicht zu empfehlen ist das Wandertagsziel „Spectrum“ im Museum für Verkehr und Technik, weil 1. die Verwachsenen den Minderwürdigen daraus später todsicher Physikarbeitsstricke draus drehen und deswegen 2. bei all den tollen Exponaten darauf achten, dass die ihnen Anempfohlenen sich Notizen machen.

Regelrecht belagert war das Mauer-Museum: vor allem von westdeutschen und ausländischen Schulgruppen. Die Mauer und den Kindern vom Bahnhof Zoo gilt nach wie vor ihr Hauptinteresse, weswegen die Polizei auch wieder ihre fertigsten Zivi-Kollegen mit „scenetypischen Accessoires“ ausgestattet hatte, damit sie dort als abstoßende Dealer herumhingen. Das kam gut an. Entsetzt reagierten jedoch viele ausländische Erzieher, die am Wandertag zum Karlshorster Kapitulationsmuseum gepilgert waren, wo eine Ausstellung mit Fotos von Frontsoldaten gezeigt wurde: Wie konnten sie auch ahnen, dass das deutsche Hauptvergnügen an der Ostfront darin bestand, Polen und Russen aufzuhängen, Juden zu demütigen und Bauern auszuplündern. Teils wurden ob dieser wahnsinnig lustigen Greueltaten den Kindern die Augen zugehalten.

Weniger entsetzlich war das Wandertagsziel Naturkundemuseum: Die Berliner Präparationsschule hat jedoch auch ihre Horroreffekte: 1.Weil einige Großtiere so verdammt lebendig wirken und 2. weil an einigen Dioramen der Zahn der Zeit allzu unbarmherzig genagt hat. Wer zum Wandertag einen Bus gemietet hatte, um nach Potsdam oder zum Schloss Petzow rauszufahren, blieb erst mal im Stau stecken. Etliche Kleingruppen zog es auch zum Golfplatz bei Michendorf: „Millionäre ankucken.“

Ähnliches bot auch das Wandertagsziel Hotel Adlon – günstig zwischen den eher von Armen arrangierten Flohmärkten am Deutschen Museum und an der Straße des 17. Juni gelegen. Rechtzeitig zum Wandertags-Run eröffnete der elfte Berliner Kinderbauernhof im Mauerpark am Falkplatz – mit zwei Schafen, zwei Ziegen, vier Hühnern und zehn Kaninchen. Es gab eine große Party, zu der sich die Mütter ihre Gesichter und die mitgebrachten Ostereier bemalten. Auch die Insel der Jugend in Treptow hatte volles Malprogramm. Fertige Kunstwerke konnte man im Hamburger Bahnhof und im Haus der Kulturen der Welt besichtigen, hier imponierte vor allem eine in Bindfäden eingesponnene, schlafende Japanerin.

Nicht wenigen Erziehungsberechtigten gelang das Kunststück, einen Wandertag mal ohne ihre „Kiddies“ zu organisieren: Sie trafen sich – als wieder frische Liebespaare – im Jagdschloss Liebenberg am brennenden Kamin, wo sie sich flüsternd bei einigen Cognacs ewige Liebe schworen, nachdem sie fröstelnd den Weißen See umrundet und dabei ihre Sonntagsschuhe versaut hatten. Anschließend düsten einige schnell wieder nach Wuhlheide zurück, um ihre ausgetobten Augensterne abzuholen.