: Besuch für Pjöngjang
Der Korea-Gipfel und die „Sonnenschein-Politik“ Kim Dae Jungs sollen die Koreaner versöhnen. Über den Versuch einer konfuzianischen Asien-Initiative, die den Stein mit Wasser brechen willvon GEORG BLUME
Kim Dae Jung war sich seiner Sache sicher: „Ich glaube, dass die Demokratie zu Anfang des nächsten Jahrhunderts in Asien ihre Wurzeln schlägt und nach dem ersten Viertel des Jahrhunderts für Asien eine Ära blühender Demokratie beginnt.“ Als der Dissident und Menschenrechtsaktivist diese Sätze im Herbst 1994 in der Zeitschrift Foreign Affairs veröffentlichte, hatte es den Anschein, als hätte er sich nach drei Wahlniederlagen seit 1971 aufs Altenteil begeben. Denn damals war Kim lediglich der Vorsitzende einer politischen Stiftung.
Knapp sechs Jahre später ist der gläubige Katholik und sittenstrenge Konfuzianer unerwarteter Zeremonienmeister eines Ereignisses, das wie kaum ein anderes neue Zukunftshoffnungen in Asien weckt. Zum ersten Mal seit der Entstehung beider Staaten nach dem Ende der japanischen Kolonisierung haben sich die Führer Süd- und Nordkoreas vom 12. bis 14. Juni in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang zu einem Gipfeltreffen verabredet. Die Nachricht vom bevorstehenden Korea-Gipfel löste in der ganzen Welt Jubel aus. Aus Washington und Peking, den wichtigsten Verbündeten der beiden Koreas, trafen postwendend Glückwünsche ein. Und sogar die sonst so zurückhaltende japanische Regierung sprach der geplanten Begegnung eine „epochemachende Bedeutung“ zu.
Die Begeisterung ist begründet. Denn zum ersten Mal ist denkbar, was das ganze 20. Jahrhundert lang unverstellbar war: ein befriedetes Nordostasien im Viereck zwischen China, Russland, Japan und Korea. Bis heute lastet die Geschichte unerträglich schwer auf der koreanischen Halbinsel. Mehr noch als im Vietnamkrieg war der Koreakrieg, ausgetragen zwischen den Armeen des Generals MacArthur und Mao Tse-tungs, eine offene Konfrontation zwischen zwei Weltmächten in Asien – mit langfristigen Folgen für die ganze Region. Er hinterließ in Nordkorea mit über einer Million Soldaten eine der größten Armeen der Welt. Die Priorität, die deren Versorgung unter Bedingungen einer desaströsen Planwirtschaft in den letzten Jahren genoss, hat Millionen Nordkoreaner in die Hungersnot gestürzt. Zweihunderttausend Menschen kamen nach westlichen Schätzungen um, während die in Pjöngjang regierende kommunistische Kim-Dynastie ungestört weiter ihre militärischen Ziele verfolgte.
Den größten Erfolg feierte der Norden mit dem halbwegs gelungenen Test einer Mittelstreckenrakete, die im Sommer 1998 Japan überquerte. Spätestens seitdem war allen Anrainerstaaten klar: Mit dem Pulverfass Nordkorea in der Mitte kann es keinen dauerhaften Frieden geben. Nun aber ist die Gelegenheit, die Bombe zu entschärfen, günstig. China und Russland, die beiden potenziellen Hegemonialmächte, haben an militärischen Spannungen genauso wenig Interesse wie ihre potenziellen Gegner, also Japan und Südkorea.
Weder Peking noch Moskau sind heute stark genug, um in einem Konflikt mit den regionalen Verbündeten der Vereinigten Staaten an Einfluss gewinnen zu können. Deren Interesse wiederum ist es, einen Status quo festzumauern, der ihnen im Rahmen ihres Bündnisses mit der westlichen Führungsmacht die größtmöglichen Freiheiten einräumt.
Diese Ausgangslage bedingt das erklärte Ziel des Korea-Gipfels: Entspannung. Die Umsetzung einer solchen Politik wird jedoch nicht einfach sein. Der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il, der nach dem Tod seines berühmt-berüchtigten Vaters und Republikgründers Kim Il Sung im Jahre 1994 die Macht in Pjöngjang erbte, hat bisher nur einmal sein Land verlassen – für eine kurze Reise nach Peking vor 17 Jahren. Für die Welt ist Kim Jong Il ein Unbekannter, dessen Taten eine zynische Gnadenlosigkeit erkennen lassen.
Es liegt deshalb allein an der Glaubwürdigkeit Kim Dae Jungs, dass ein Treffen mit dem starken Mann in Pjöngjang auch ohne erkennbare Konzessionen aus Nordkorea weit über das geteilte Land hinaus Hoffnungen weckt. Wie kein anderer Politiker seines Landes tritt Kim seit Jahrzehnten für eine Entspannungspolitik gegenüber dem Norden ein. Zu Hause wurde er dafür lange als Kommunistenfreund gebrandmarkt. Insgesamt zwei Mordattentate ließ das Regime in Seoul auf ihn ausüben.
Als der Menschenrechtsaktivist dann im Zuge der südkoreanischen Wirtschaftskrise im vierten Anlauf doch noch Präsident wurde, zögerte er keine Sekunde, eine neue „Sonnenschein-Politik“ gegenüber dem Norden zu verkünden. Zwei Jahre lang überhäufte er die andere Seite mit Gesten des guten Willens – und wohl auch manch geheimem Versprechen. Als dann vor zehn Tagen die Einladung aus Pjöngjang eintraf, wunderte sich niemand mehr: Wem, wenn nicht Kim, konnte schon es gelingen, das seit mehr als 50 Jahren verschlossene Tor zum Reich der Kim-Dynastie aufzustoßen?
Doch die hohen Erwartungen können leicht enttäuscht werden. Kurzfristig kann die „Sonnenschein-Politik“ des Südens nur wenig konkrete Verbesserungen bewirken. Vielleicht wird ein neuer Industriepark für südkoreanische Investoren im Norden eingerichtet. Selbst die Zulassung von Familienbegegnungen erscheint dagegen noch unrealistisch – ganz zu schweigen von einer raschen Wiedervereinigung. Nach der Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ hat gerade eine weitere Organisation ihre Hilfe für die hungernden Nordkoreaner aufgekündigt – weil beide Grund zu der Befürchtung haben, dass ihre Lebenmittellieferungen nicht die wirklich Bedürftigen, sondern vor allem Soldaten erreichten. Es gibt also keinen Grund, an der tödlichen Entschlossenheit Kim Jong Ils zu zweifeln, das eigene Volk auch weiterhin verhungern zu lassen.
Wie aber lässt sich auch nur ein Ansatz zur Versöhnung mit einem Regenten finden, im Vergleich zu dem alte Partner westlicher Entspannungspolitik, wie Breschnew und Honecker, wie Schafe vor dem Wolf wirken? „Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Systeme unterscheiden sich grundlegend“, meinte vor eine Woche der derzeitige Nordkorea-Beauftragte der Vereinigten Staaten, William Perry, bei einem Besuch in Hongkong. „Es ist deshalb schwer, eine Wiedervereinigung vorauszusehen. Das vernünftige Ziel ist eine Versöhnung auf der koreanischen Halbinsel.“
Das ist eine opitimistische Haltung – und eine realistische dazu. Denn zur Entspannungspolitik gibt es in Asien keine Alternative – außer der einer militärischen Konfrontation zur Befreiung der Nordkoreaner. Solange ein solches Unternehmen Millionen Opfer fordern kann, bleibt nur die Besinnung auf Konfuzius: „Dass Schwaches über Starkes siegt, Starres Geschmeidigem unterliegt, wer wüsste das nicht?“, fragte der alte Gelehrte, auf dessen Maxime sich Kim Dae Jung schon in dem oben erwähnten Artikel von 1994 berief. Damals fügte er hinzu, dass nicht das kulturelle Erbe der Demokratisierung Asiens im Weg stehe, sondern der Widerstand einiger autoritärer Führer. Ihn zu brechen ist die vornehmste Aufgabe des ersten innerkoreanischen Gipfels – und jeden Versuch wert.
Hinweise:Zum ersten Mal in diesem Jahrhundert ist ein befriedetes Nordostasien denkbarNicht die Kultur, sondern autoritäre Führer behindern die Demokratisierung
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