: Wer einen türkischen Namen hat, ist nicht zu beneiden
Seit dem Mord an zwei Leeds-Anhängern beim Halbfinalhinspiel in Istanbul ist die Türkei der neue Hauptfeind der englischen Fans. Die Boulevardpresse schürt den Türkenhass
LEEDS taz ■ Bisher war Argentinien der Hauptfeind englischer Fußballfans. Die Südamerikaner hatten nicht nur einen Krieg um die Malvinen, die im Englischen Falklandinseln heißen, angezettelt, sondern – schlimmer noch – durch ein von Maradona mit der Hand erzieltes Schummeltor England aus der Weltmeisterschaft 86 gekippt.
Nach dem Mord an den beiden englischen Fußballfans Kevin Speight und Chris Loftus am Vorabend des Hinspiels von Leeds United vor zwei Wochen in Istanbul hat die Türkei den argentinischen Platz eingenommen. Kebab-Buden und türkische Reisebüros, Gaststätten mit türkisch klingenden Namen und das Büro der Turkish Airways wurden verwüstet, wer türkisch aussieht, muss mit Prügeln rechnen. Längst sind die Übergriffe nicht mehr auf Leeds beschränkt, auch in anderen Städten wird Hatz auf Türken gemacht. Im Eifer des fremdenfeindlichen Gefechts erwischt es auch den einen oder anderen Pakistani oder Iraker, der Volkszorn macht da keine kleinlichen Unterschiede.
Wer dazu noch einen türkischen Namen hat, ist nicht zu beneiden. Der Profifußballer Muzzy Izzet von Leicester City ist in London als Sohn eines türkischen Vaters geboren und tritt bei der Europameisterschaft im Sommer für die Türkei an. Beim Spiel gegen Everton wurde er 90 Minuten lang von den angereisten Fans rassistisch beschimpft, der Gastverein entschuldigte sich danach bei ihm und versprach, die Urheber der Hasstiraden lebenslang aus dem Stadion zu verbannen. Doch die Hooligans haben für heute Abend Randale angekündigt, und für die Europameisterschaften im Juni in Belgien und den Niederlanden, an denen England und die Türkei teilnehmen, rechnen die Veranstalter mit dem Schlimmsten.
Die Boulevardpresse schürt den Türkenhass, so gut sie kann, und wenn sie auch nicht direkt zu Racheakten aufruft, so kann man aus den Artikeln eigentlich nur den Schluss ziehen, dass die Morde gesühnt werden müssen. Die Türken seien gefühlskalt, hieß es in fast allen Blättern, weil sie sich weigerten, beim Hinspiel Trauerflor zu tragen, und es auch heute Abend nicht tun werden. Dass die Uefa den Türken davon ausdrücklich abgeraten hat, weil es ihnen von den englischen Fans als Verhöhnung ausgelegt würde, schreibt niemand. Über die Beerdigungen der beiden Leeds-Fans am Montag und Dienstag wurde dagegen breit berichtet, ein Lokalblatt versah den Artikel mit der Überschrift: „Abgeschlachtet in Istanbul“. Der Observer wies genüsslich darauf hin, dass vorigen Freitag beim Lokalderby zwischen Galatasaray und Beșiktaș schon wieder ein Mann in Istanbul erstochen worden sei.
Dass sich die beiden Vereine gegenseitig mit Vorwürfen überhäufen, hat auch nicht gerade zur Beruhigung der Stimmung beigetragen. Nachdem Galatasaray verlangt hatte, das heutige Spiel auf neutralem Boden auszutragen, bezeichnete Leeds-Präsident Peter Risdale die türkischen Funktionäre als „Opportunisten, die alles tun würden, um ins Endspiel zu kommen, ohne einen Ball treten zu müssen“. Das Beste wäre, fügte er hinzu, wenn sie ihre Drohung wahr machten und sich aus dem Wettbewerb zurückziehen würden.
Im Gegenzug beschwerte sich Galatasaray-Trainer Fatih Terim, dass Leeds United sich ihm gegenüber ungehörig benommen habe, als er vorigen Sonntag beim Spiel zwischen Leeds und Arsenal spionieren wollte. Weder habe man ihn vom Flughafen abgeholt noch ihm irgendwelchen Personenschutz angeboten, monierte er: „Das ist ungezogen. Wir dagegen haben sie vor zwei Wochen willkommen geheißen und dafür gesorgt, dass ihnen nichts geschieht.“
Besonders ärgerlich ist man in England über den türkischen Sportminister, der bezweifelt hatte, dass England ein geeigneter Ort für die Weltmeisterschaft 2006 sei. Insgeheim befürchtet auch der englische Verband, dass die Ereignisse in Istanbul und der Ausschluss der türkischen Fans bei dem Rückspiel Englands Chancen bei der Bewerbung nicht gerade erhöhen, weil sich im Ausland das Bild verfestigt, die Engländer könnten nicht für die Sicherheit ihrer Gäste garantieren.
Die Boulevardpresse, allen voran der Mirror, reagierte geschwind: Deutschland, das sich ebenfalls um die Austragung der Weltmeisterschaft 2006 bemüht, habe in der Bewerbungsbroschüre Fotos von friedlichen, lachenden englischen Fans abgedruckt, die sie als Deutsche ausgaben, schrieb das Blatt: „Wahrscheinlich haben sie keine solchen Fotos von ihren eigenen Fans, weil die deutschen Zuschauer immer gewalttätiger werden.“ RALF SOTSCHECK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen