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Krank und glücklich

Kassen-Hopping lohnt sich nicht nur für die Jungen. Aber die Alten wollen nicht. Darum soll der Wechsel schwerer werden

von ANNETTE ROGALLA

Es gibt Typen von Mitgliedern, die Versicherungen mögen. Monika Marks ist eine davon. Als Rundfunkredakteurin verdient sie 8.600 Mark brutto im Monat, ist selten krank und kinderlos. Mit ihrem Einkommen liegt sie weit über der Beitragsbemessungsgrenze für die gesetzliche Krankenkasse. Ohne Probleme könnte sie auch Privatpatientin mit Anspruch auf Einzelzimmer und Chefarztvisite werden. Auf diese Privilegien verzichtet Marks undbleibt in der Gesetzlichen. „Ich finde es richtig und wichtig für unsere Gesellschaft, dass Junge für Alte zahlen, Gesunde für Kranke“. Marks hält viel von Solidarität.

Das Prinzip hat seinen Preis. Im Monat gehen 896,56 Mark an die Barmer Ersatzkasse (BEK) – 13,9 Prozent ihres Gehalts. Zu viel, findet Marks. „Meine Kasse ist zu teuer, ich suche eine preiswerte Alternative.“ Eine der billigsten findet sie vor ihrer Hamburger Haustüre: die Betriebskrankenkasse der Mobil Oil AG. Der Wechsel lohnt sich: 722,40 kostet der Schutz monatlich – 174,16 Mark weniger als bei der BEK. Marks wird wechseln. Wie viele andere vor ihr. Knapp eine Million Mitglieder haben sich 1999 von den großen Orts- und Ersatzkassen verabschiedet.

Die rund 350 Betriebskrankenkassen freuen sich über die neue Kundschaft. Während allein der AOK zwischen 1996 und Jahresanfang fast 1,8 Millionen Mitglieder davonliefen, steigerten sie ihre Mitgliedszahlen von 5,2 auf 7,2 Millionen. Schon sind die Betriebskassen zur drittgrößten Kassenart aufgestiegen.

Operation, Zahnbehandlung, Blutuntersuchung – egal welche medizinische Leistung der Wechselkunde braucht, er erhält sie, unabhängig davon, ob er die Versichertenkarte der AOK vorlegt oder die einer unbekannten BKK – dafür hat der Gesetzgeber 1996 gesorgt. Mit dem Gesundheitsstrukturgesetz kam mehr Wettbewerb auf den Markt. Dies sollte aber nicht zulasten der Solidarität mit den Kranken geschehen, sagte der damalige Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU). Heute, vier Jahre später, wird deutlich, dass Solidarität und Markt sich schwer vertragen.

Zwar darf keine gesetzliche Kasse ihre Mitglieder nach gesundheitlichen Risiken aussuchen und auch nicht danach, ob sie jung, ledig und preiswert oder verheiratet, vielfache Eltern und alt sind. Seit 1996 können alle Mitglieder zum Jahresende die Kasse wechseln. Junge und Gesunde mit gutem Einkommen hoppen gerne. „Kranke, egal welchen Alters, scheuen den Wechsel“, klagt Eva Walzik, Sprecherin der Ersatzkassen in Berlin. Die AOK fürchtet schon um ihre Existenz. Sprecher Rolf Eikel sieht sich bald nur von Rentnern umgeben. Rentner, die „jeden dritten Tag bei ihrer Kasse anrufen und nach einer Kur fragen oder sonst was, und die ihre Kasse auch nicht mehr wechseln“, befürchtet er im Berliner Tagesspiegel. Hansjoachim Fruschki, Vorsitzender der DAK, wirft den Billigkassen Rosinenpickerei vor. Wer nur per Internet oder telefonisch erreichbar sei, locke die mobile, junge Generation und nicht die Alten und Schwachen. „Wer sich heute um Kranke bemüht, den bestraft der Markt.“

Das Jammern der vergangenen Tage erreicht die Angesprochenen nicht. „Ich kann über die Vorwürfe nur lachen“, sagt Birgit Randow, Vorstandssprecherin der BKK Securvita. Die Klagen seien nichts anderes als reine Ablenkungsmanöver. Im Laufe der Jahrzehnte hätten AOK und Ersatzkassen Managementfehler gemacht. Ihre Verwaltungen seien Behörden ähnlich aufgebläht. Vor allem aber der unerschüttliche Glaube an Schulmedizin und Technikparks komme sie teuer zu stehen.

Die Securvita wirbt mit Alternativtherapien und ganzheitlichem Ansatz. Zum Beitragssatz von 12,1 Prozent werde jeder genommen. Risikoselektion hätten die Ersatzkassen jahrzehntelang betrieben, sagt Randow. Bei manchen verrät noch heute der Name, wer gewünscht war, wie bei der Deutsche Angestellten Krankenkasse oder der Techniker Krankenkasse.

Die Mitgliederwanderung bewirkt, dass alteingesessene Kassen auf den „schlechten Risiken“ sitzenbleiben. Das kostet. Im vergangenen Jahr stiegen Leistungsausgaben von AOK und Ersatzkassen um drei Prozent; bei den BKK gingen sie um zwei Prozent zurück. Mit sanfter Medizin allein ist das nicht zu erklären. Im Schnitt ist jeder Dritte Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung ein Rentner. Betriebskassen, die einen Beitragssatz von unter 12 Prozent haben, zählen nur 6,7 Prozent Rentner.

Wie den Abstieg aufhalten? Die Zeiten in denen die Ersatzkassen snobistisch auf die alte Arbeiterkasse AOK herabschauten, sind vorbei. Seit der Krise halten sie zusammen und bitten den Bundestag um Nothilfe. Die Neueinrichtung von Betriebs- und Innungskassen soll für einen befristeten Zeitraum verboten werden. Der Ersatzkassenverband VdAK fordert einen Mindestbeitrag von 12,7 Prozent für alle Kassen. Rechnerisch würden alle Kassen mit diesem Beitrag auskommen, wenn sie nur Durchschnittsversicherte hätten. Kassen, die bisher weniger nehmen, sollen die Differenz an jene zahlen, die höhere Risiken tragen.

Diese Ideen sorgen für Zwiespalt in der Regierung. Als „diskussionswürdige Notlösung“ lobt der SPD-Gesundheitspolitiker Martin Pfaff den Mindestbeitrag. Sein Kollege Klaus Kirschner will künftig den Kassenwechsel außerhalb der Kündigungsfrist verbieten, etwa wenn der Beitragssatz erhöht wird. Erwin Jordan (Grüne), Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, findet die Idee „bedenklich“.

Den Wettbewerb, den ihr Vorgänger Seehofer (CSU) brachte, will die grüne Gesundheitsministerin Fischer nicht aufhalten. Eine andere Umverteilung löse das Problem nicht, heißt es aus ihrem Haus. Das würde den teuren Kassen nur den Anreiz nehmen, kostengünstig zu arbeiten. Stattdessen will Fischer im kommenden Jahr den Risikostrukturausgleich (RSA, siehe Kasten links) zwischen reichen und armen Kassen neu regeln.

Glaubt man der Unternehmensberatung Arthur Andersen, haben sich die gesundheitspolitischen Debatten dieser Tage ohnehin bald erledigt. Im Jahr 2015 wird sich das Prinzip der Marktwirtschaft fest im hiesigen Gesundheitswesen verankert haben. Dann erhalten gesetzlich Versicherte nur noch die Hälfte der heutigen Leistungen, heißt es in einer neuen Studie.

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