Von Recht und Billigkeit

Seit Jahren prozessieren Frauen gegen zu niedrige Rentenansprüche aus Erziehungszeiten. Dann klagte ein Mann – und plötzlich war das Thema brandheiß. Ein Erfolg für die Deutsche Hausfrauengewerkschaft

von MARIANNE MÖSLE

Von sich aus hätte der Vater wohl nicht geklagt, daraus macht Gesa Ebert kein Hehl. Genau wie die Mutter habe er zeitlebens nicht aufgemuckt, irgendwie das meiste als gottgegeben akzeptiert, auch die paar Mark Witwerrente, die Franz N. seit dem Tod seiner Frau bezieht. Als die kampfeslustige Tochter ihn ermutigte, dagegen Einspruch zu erheben, war er einverstanden. Nicht weil es ihm um mehr Geld geht, sondern darum, dass die Arbeit seiner verstorbenen Frau in Form einer höheren Rentenberechnung gebührend gewürdigt wird.

Der Richterin vor dem Wappen mit den drei baden-württembergischen Löwen war der Andrang im Stuttgarter Sozialgericht Ende März nicht geheuer: „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie mit ihrer ganzen Familie kommen, hätte ich einen größeren Raum für die Verhandlung beantragt.“ Irrtum. Angerückt waren vor allem die Medien, von der Bild-Zeitung bis zum Dritten Fernsehprogramm. Und viele ältere Frauen. Weil man wissen wollte, was bei einem Prozess um die Hinterbliebenenrente herauskommt.

Abgewiesen! Auch wenn die verstorbene Maria N. ihre sieben Kinder selbst betreut und aufgezogen hat, stehen ihrem Mann, dem 87-Jährigen Franz N., vor dem bestehenden Gesetz nicht mehr als 259,50 Mark Witwerrente zu, beschied Richterin Petra Vossen. Wäre Maria N. als Hauswirtschafterin statt als Hausfrau erwerbstätig gewesen, die Witwerrente wäre heute drei bis vier Mal so hoch. Nach knappen vierzig Minuten Anhörung der Prozessanträge wird die Verhandlung geschlossen. Der Vertreter der beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden-Württemberg wünscht dem alten Mann und seiner Tochter, die ihn als Prozessbevollmächtigte vertritt, viel Glück beim weiteren Gang durch die Instanzen. Das war’s.

Mit dem gleichen Ergebnis und ohne große Resonanz hatten in den vergangenen Jahren rund hundert alte Frauen geklagt. Zum ersten Mal, seit 1986 eine Hinterbliebenenrente, die sich an der Rente des Ehepartners bemisst, auch für Männer eingeführt wurde, ging jetzt ein Mann vor Gericht. „Wenn ein Mann klagt, wenn die Öffentlichkeit mitkriegt, dass auch Männer von der Unterbewertung der Erziehungsleistung ihrer Ehefrauen mitbetroffen sind“, so die Überlegungen bei der Deutschen Hausfrauengewerkschaft (dhg), „vielleicht tut sich dann endlich was in der Gesetzgebung.“ Gott und die Welt wurden zum Prozesstermin geladen.

Die mit rund dreitausend Mitgliedern relativ kleine „Gewerkschaft der größten Berufsgruppe der Bundesrepublik“ hatte den Streit nicht nur unterstützt, sie hat ihn auch angezettelt. Denn Tocher Gesa Ebert ist seit Gründung der Vereinigung, 1979, aktives Mitglied, bis vor zwei Jahren war sie stellvertretende Bundesvorsitzende. Auch sie sei „lange brav und angepasst“ gewesen, sagt die Stuttgarter Hausfrau von sich. „Mein Kampfgeist ist erst bei der Hausfrauengewerkschaft erwacht.“ Rhetorisch und juristisch versiert tritt die 47jährige bei der Gerichtverhandlung auf. Es ist nicht ihr erster Prozess. „Ich seh meine Mutter heut noch, wie sie dastand und es einfach nicht glauben konnte, was im Rentenbescheid stand. ,Das kann doch nicht sein‘, hat sie nur gesagt.“ Dann den Wisch von der Alterskasse in die Schublade gelegt und den Widerspruchstermin verstreichen lassen.

Gerade selbst Mutter geworden, hatte Gesa Ebert 1978 im Radio gehört, dass eine Soziologieprofessorin aus Kiel, Gerhild Heuer-Pyka, die miese Absicherung von Müttern und Hausfrauen in der Bundesrepublik anprangerte. Frau sollte sich in einer Gewerkschaft organisieren, so ihr Credo. Die Frau aus dem Süden war nicht die einzige, die eine Postkarte nach Norddeutschland schickte. Ein Jahr später wurde die Gewerkschaft „mit dem Namen, der uns heute so große Probleme macht“, gegründet. „Verband der Familienfrauen und -männer“ ist als neuer Name in Planung.

„Hausfrauen, das klingt nach Kittelschürze.“ Nichtsdestotrotz überließ die gelernte Einzelhandelskauffrau und Sekretärin ihre drei Töchter am Wochenende ganz selbstverständlich dem Vater – „da bin ich irgendwie ‘ne Exotin“. Bei Seminaren der Frauengewerkschaft bildete sie sich fort, reiste zu Tagungen, Vorträgen und politischen Anhörungen. 1988 rief sie den Landesverband Baden-Württemberg ins Leben, wurde zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt und arbeitete sich in die juristischen Angelegenheiten der Gewerkschaft ein. Wenn es um Ehe-, Familien- oder Rentenrecht geht, dürfte sie inzwischen manchen Volljuristen in die Tasche stecken. Oft war es mehr als ein Achtstundentag, heute agiert sie heute nur noch, aber immer noch engagiert, aus dem Hintergrund.

Warum sie sich so einsetzt? Aus purem Idealismus? „Die Arbeit von Frauen wird so selbstverständlich erwartet und genommen, als handle es sich um ‘ne Naturresource.“ Auch sie arbeitet, unentgeltlich, bei der Hausfrauengewerkschaft: „Die Kassenlage ist schlecht. Viele alte Mitgliederfrauen sterben, viele leben am Abgrund entlang oder von Sozialhilfe, da wollen wir keinen Beitrag.“

Schon sind wir mitten in der Diskussion um die politischen Forderungen, die die dhg immer wieder versucht, bei Anhörungen in Parlament und Regierung einzubringen. Versucht, denn manche Tür wurde den kämpferischen Frauen schon vor der Nase zugemacht. Viermal wurden sie beim Deutschen Frauenrat abgewiesen, vor kurzem beim Arbeitsministerium. „Hausfrauen und Familienfrauen sind doch ein Fossil.“ Dauernd müsse man sich gegen den Vorwurf wehren, sie wollten Frauen wieder zurück an den Herd bringen. Reaktionäre Frauenpolitik, in jenem Moment, wo sich erwerbstätige Frauen endlich im einen oder anderen öffentlichen Bereich, in Firmen und Betrieben etabliert haben? Nein, das wäre das Letzte, was sie wollten, sagen die Gewerkschaftlerinnen. „Aber es geht uns um die Wahlfreiheit.“

Familie oder Beruf oder beides, aber auf keinen Fall unbezahlt. Mit ein paar Blumen zum Muttertag ist Familien- und Erziehungsarbeit nicht abgegolten. Da sind sich Hausfrauen und vereinzelte EntscheidungsträgerInnen der Bundesregierung durchaus einig. Ein Durchschnittsgehalt für einen Vierzehnstundenjob und mindestens sechs Jahre lang ist keine zu hohe Forderung, sollte man meinen. Oder doch? Weder von Seiten der dhg noch von Seiten der Ministerien existiert ein praktikables Finanzierungsmodell.

In ihrer eigenen Ehe liegen die Konten offen, die Finanzen sind Gesa Eberts Ressort. Rein rechtlich ist das Geld, das der Ehemann verdient, bis heute sein Privateigentum. Auch auf ein gemeinsam gebautes Haus hat seine Frau nur Zugriff, wenn sie im Grundbuch eingetragen ist. Den Kontostand abzufragen ist ihr verwehrt, die gemeinsam angeschafften Möbel darf sie benutzen, aber nicht verscherbeln. Immerhin darf sie Taschengeld verlangen: ganze fünf Prozent seines Nettoeinkommens.

Erst im Moment der Scheidung hat die Frau nach dem Gesetz der sogenannten Zugewinngemeinschaft einen Anspruch auf die Hälfte dessen, was während der Ehe dazu erwirtschaftet wurde. „Genaugenommen haben wir kein Ehe- und Familienrecht, sondern ein Scheidungsrecht“, sagt Frau Ebert. Bei dem die juristische Gleichberechtigung auf der Strecke bleibt. Aufgrund der Initiative der dhg hat der Bundesrat vor kurzem einen Gesetzänderungsvorschlag zum „detaillierten Auskunftsrecht“ positiv beschieden. „Konservative Männer springen allerdings im Sechseck. Und wissen Sie, wie die argumentieren? Das widerspräche dem Wesen der Ehe ...“

Illusionen hat sich Gesa Ebert nie gemacht. „Dass Kinder und Familie kein Spaziergang sind, hab‘ ich erfahren, als ich meiner Mutter nachts um elf noch beim Bügeln helfen musste.“ Trotzdem hat sie sich freiwillig für Familie und Kinder entschieden. War aber nie einverstanden damit, dass es erstens kostenlos sein soll, zweitens der Mann das Geld verwaltet und zuteilt und drittens, dass die Schufterei nur eine minimale eigene Rente einbringt.

„Allein durch die Tatsache, dass meine Tochter Abitur gemacht hat, hat sie sich eine Anwartschaft auf drei Jahre Rente erworben“, rechnet Ebert vor. Sie selbst hat auch drei Jahre erworben, indem sie zwanzig Jahre lang drei Kinder, Haus und Familie versorgt hat. Vor zwei Jahren hat sie deshalb einen ähnlichen Prozess geführt wie jetzt ihr Vater. Und gegen das so genannte Kontenklärungsverfahren der Bundesanstalt für Arbeit, das ihr ein Jahr Rentenanspruch pro Kind attestierte, Widerspruch eingelegt. Mit dem gleichen Ergebnis wie ihr Vater. Abgewiesen. Wie dozierte die Stuttgarter Richterin: „Eine Entscheidung zur Kindererziehungsgleichstellung kann nicht vom Gericht gefällt werden. Das ist eine gesellschaftpolitische Sache.“ Ja ... schon, räumen die Frauengewerkschafterinnen ein. „Aber wenn wir nicht anders gehört werden, bleibt nur das Gericht.“

Gesa Ebert träumt derweil von noch spektakuläreren Frauenaktionen. „Ein Jahr Geburtenstreik, das wär’s, und wenn dann noch alle alten Frauen ihre lächerliche Rente einfach zurücküberweisen würden ...“

MARIANNE MÖSLE, 39, freie Journalistin aus Tübingen, schreibt regelmäßig für das taz.mag