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Die Lügen loswerden

Dagoberto T. Ortiz, Direktor des staatlichen Folkloreinstituts Indefolk, über Gagá

taz: Erlebt der Gagá in der Dominikanischen Republik momentan eine Art Renaissance?

Dagoberto Tejeda Ortiz: Nicht direkt. Aber es stimmt, dass in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren der Gagá mehr praktiziert wird und unter den Dominikanern eine Aufwertung erfahren hat. Vor allem von der Mittel- und Oberschicht wurde der Gagá lange Zeit abgelehnt und als etwas rein Haitianisches verurteilt. Heutzutage beginnt man den Gagá als Teil der dominikanischen Identität anzusehen.

Wie ist dieser Wechsel möglich?

Die Leute werden bewusster. Statt sich zu schämen und zu verstecken, nehmen sie mit Stolz und in aller Öffentlichkeit am Gagá teil. Während man früher alles verachtete, was nach haitianischem Einfluss roch, beginnt man heute zu begreifen, dass die Identität und die Kultur der Dominikaner und der Haitianer eine gemeinsame Basis haben, nämlich die afrikanische Kultur. Unter diesem Gesichtspunkt gibt es neben dem Gagá viele Beispiele. Auch der Merengue gehört dazu.

Ende des 19. Jahrhunderts erfuhr der Merengue unter der dominanten Klasse eine absolute Geringschätzung. Die koloniale Elite tanzte damals Polka, Masurka und Kontertanz, also die europäischen Tänze. Wer tanzte damals Merengue? Wo tanzte man Merengue? In den Zuckerrohrplantagen, in den armen Stadtvierteln, auf dem Land. Im Laufe des 20. Jahrhunderts eroberte der Merengue die ganze Republik und heutzutage ist er unser Nationalstolz.

Sie meinen also, dass auch der Gagá gesellschaftlich aufsteigt?

Davon bin ich absolut überzeugt. Aber man darf eines nicht vergessen: Der Ausdruck des Volks erhält sich nicht in seiner reinen Form und bleibt nie gleich. Er formt und verändert sich. Diese Veränderung ist notwendig, damit sich Identität bilden kann. Eines ist sicher: Der Gagá wird immer mehr Raum einnehmen und bei der Bevölkerung ein immer größeres Maß an Respekt und Stolz hervorrufen. Er wird immer mehr mit der nationalen Identität in Verbindung gebracht werden. Was früher in aller Abgeschiedenheit gemacht wurde, erscheint heute in den Zeitungen.

Was heißt „früher“? In der Zeit Trujillos oder in der Epoche Balaguers?

Das macht keinen Unterschied. Beide betrieben eine ausgesprochen rassistische Regierungspolitik. 1983 hat Balaguer ein Buch herausgegeben. Wenn Sie das lesen, fassen Sie es nicht. Darin findet man eine Verachtung gegenüber den Haitianern, gegenüber den Schwarzen, gegenüber Afrika. Auf der anderen Seite wird um Europa und insbesondere um Spanien als das Mutterland der Nation ein Mythos entworfen. Immer noch herrscht hier eine koloniale hispanophile Ideologie, und die meisten Leute sind antischwarz, antihaitianisch und antiafrikanisch eingestellt. Die Dimension des Mulattentums wird immer noch nicht als Charakteristik der Dominikaner und ihrer Kultur akzeptiert. Aber sehen Sie meine Nase an und meinen Mund. Ich kann kein Sohn Spaniens sein. Die Anwesenheit Afrikas lässt sich nicht negieren. Wie ich mit Ihnen rede, mit den Händen, mit der Stirn, mit der Nase. So essen wir, so tanzen wir: Afrika ist immer präsent.

Welche Rolle spielt der Gagá in diesem Zusammenhang?

Der Gagá unterstützt den Prozess der Redefinition, den die dominikanische Bevölkerung durchlaufen muss. Wir sehen den Unterschied, wir sprechen von dem, was uns charakterisiert. Die Dominikanische Republik muss ein Trauma verarbeiten. Sie muss alle Lügen, die man seit der Kolonisation verkauft hat, loswerden, denn es ist falsch, dass wir Spanier sind.

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