: „Bedenkliche Ignoranz“
Die Roma-Familie Zumberov lebt seit 1988 in Duisburg. Jetzt soll sie abgeschoben werden, weil sie wider Willen zwei Jahre in der Heimat war
aus Duisburg PASCAL BEUCKER und MARCUS MEIER
Grundschullehrer Thomas Quehl ist fassungslos: „Am Montag letzter Woche saß Samanta noch in meiner Klasse, am Donnerstag lese ich in der Zeitung, dass sie und ihre Familie zur bundesweiten Fahndung ausgeschrieben sind.“ Bis Anfang der Woche gingen die heute 9-Jährige und ihr 11-jähriger Bruder Ajnur in die zweite und vierte Klasse der Duisburger Grundschule Breite Straße. Jetzt ist die Familie Zumberov untergetaucht, lebt irgendwo versteckt im Kirchenasyl. So hofft sie ihrer Abschiebung nach Makedonien doch noch entgehen zu können. Der zuständige Duisburger „Dezernent für Recht und Ordnung, Umwelt und Entsorgung“, Jürgen Brandt (SPD), lässt die Polizei nach ihnen fahnden.
Für Ralph Giordano ist das ein ungeheuerlicher Vorgang. Der Kölner Publizist erfuhr vor einem halben Jahr von dem Schicksal der Zumberovs. Seitdem setzt er sich für ein Bleiberecht der Roma-Familie ein. Vier Asylanträge haben sie schon gestellt, sie wurden allesamt abgelehnt. Es gehe doch um die Kinder, „die im Falle der Abschiebung ihrer Heimat beraubt werden – und die ist Duisburg“, appellierte Giordano immer wieder eindringlich an das Düsseldorfer Innenministerium. Bis zuletzt hoffte er, dass das Innenministerium einer Empfehlung des Landtagspetitionsausschusses vom Februar folgen würde, der sich ebenfalls für ein Bleiberecht ausgesprochen hatte. Vergeblich.
1988 kam der damals 8 Monate alte Ajnur zusammen mit seinen Eltern Nehru und Igbal Zumberov aus Jugoslawien nach Duisburg. Im November 1990 wurde Samanta geboren. Eigentlich hätte sie nach dem neuen Staatsbürgerschaftsrecht seit 1. Januar 2000 Anspruch auf die doppelte Staatsbürgerschaft gehabt. Das Pech der vier: Um eine Zwangsabschiebung zu verhindern, reisten die Zumberovs 1996 „freiwillig“ nach Makedonien aus. Samantas Eltern verloren ihren Flüchtlingsstatus und damit den Einbürgerungsanspruch für ihr Kind. Die ständigen Übergriffe auf Roma und die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in dem instabilen Land machten ihr dort das Leben zur Hölle. Als Sicherheitskräfte mit Fußtritten den letzten Versuch Nehru Zumberovs zerstörten, mit einem kleinen Marktstand ein Auskommen zu finden, entschloss sich die Familie 1998 zur Rückkehr nach Duisburg.
Durch ihren zweijährigen Auslandsaufenthalt, so argumentiert nun das NRW-Innenministerium, erfüllen die Zumberovs „offensichtlich nicht die erforderlichen Voraussetzungen der Altfallregelung 1996 und 1999“. Im Gegensatz zum Petitionsausschuss sieht SPD-Innenminister Fritz Behrens keinen Ermessensspielraum. Eine Abschiebung sei unvermeidbar. „Persönliche Anteilnahme“ dürfe hier kein Maßstab sein, so der Minister in einem Schreiben an Giordano. Schließlich seien die Ausländerbehörden verpflichtet, „niemanden u. a. wegen seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Heimat und Herkunft zu benachteiligen oder zu bevorzugen“.
Der Kinderschutzbeauftragte der Landesregierung, Reinald Eichholz, verweist hingegen darauf, dass im Fall Zumberov die UN-Kinderrechtskonvention berücksichtigt werden müsse. Doch auch ein gemeinsamer Brief von Eva-Maria Stange, der Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, und des Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, in dem sie davor warnen, dass die Zumberovs „als Roma moslemischen Glaubens“ in Makedonien mit „besonderer Härte und Benachteiligung“ zu rechnen haben, konnte Behrens nicht umstimmen. Heiko Kaufmann, Sprecher der Flüchtlingshilfeorganisation Pro Asyl, bezeichnet die Entscheidung des Innenministers als „bedenkliche Ignoranz gegenüber den zuständigen und sachkundigen Institutionen des demokratischen Rechtsstaats“.
Der Familie Zumberov bleibt jetzt nur noch die Hoffnung, bis zur Landtagswahl nicht geschnappt zu werden – und dass danach eine humanitäre Entscheidung des NRW-Innenministeriums möglich wird. Für Ralph Giordano jedenfalls steht fest: „Das hier, dieses Land, genauer: Duisburg, das ist ihre Heimat. Sentimentalitäten, wenn das Gesetz im Spiele ist? Das mag so gesehen werden, aber dass es um Schicksale geht, kann niemand bestreiten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen