: Ei mit Trinkerheiland
Borussia Dortmund entwickelt österlich-religiöse Marotten und verliert dennoch im ehemaligen Spitzenspiel mit 0:1 gegen Bayern München
aus Dortmund WIGLAF DROSTE
Bei Borussia Dortmund klammert man sich ans Religiöse. „Auferstehung jetzt!“, forderte ein Transparent auf der Dortmunder Südtribüne. Jesus aber stand nicht schon am Ostersonntag auf. Da hatte er noch das Karfreitagspiel in den Knochen und war entsprechend matt.
Doch Details zählen nicht mehr in Dortmund. Wo Verzweiflung herrscht, geht der Sinn für Feinheiten flöten, und panisch wird nach Strohhalmen gegrapscht. Im Dortmunder Stadionmagazin ist nahezu jede Überschrift eine Durchhalteparole: „Raus aus der Krise!“, „Auf dem richtigen Weg!“, „Wir schaffen es!“, und zwischendurch legt Marius Müller-Westernhagen Wert auf die Feststellung: „Ich bin kein Schönwetterfan!“ Sondern wahrscheinlich Drei-Wetter-Taft.
Stadionsprecher Norbert Dickel konnte erneut die Beschwörung der angeblichen Spitzenmannschaft Borussia Dortmund nicht bleiben lassen. Von Mal zu Mal wird das peinlicher: „Wer hat die besten Fans im Land? Nur der BVB! Wer spielt jeden Gegner an die Wand? Nur der BVB!“ Hätte Dickel gefragt, wer sich selbst am besten an die Wand spielen kann, die Antwort wäre richtig gewesen. Doch die lauthalse Instinktlosigkeit, früher unverwechselbares Markenzeichen des FC Bayern München, ist von den Dortmunder Vereinsfunktionären längst übernommen worden.
Während in München der langjährige Dortmunder Trainer Ottmar Hitzfeld durch die Abwesenheit schlechter Manieren auffällt, fügt sich in Dortmund die Verpflichtung des früheren Münchner Trainers Udo Lattek ins düstere Ganze. In Bild spuckte Lattek die großen Töne, für die man den Trinkerheiland engagiert hat: Bayern werde „auf die Jacke“ beziehungsweise „auf die Fresse“ kriegen, kündigte Lattek an, und anschließend wolle er dann „mit den Bayern weinen“.
Dazu gab es keinen Grund. Die Münchner gewannen nicht unverdient 1:0. Dennoch durften sich die BVB-Fans erstmals seit Monaten wenigstens zeitweise freuen. Dortmund spielte mit hohem Tempo, die Fehlpassquote war stark gesenkt, Zweikämpfe wurden gewonnen, Kombinationen klappten. Wirkliche Möglichkeiten aber kamen kaum zustande, da alles zu schnell zur Mitte drängte, wo Bobic stand und versiebte. Seine größte Chance wehrte Oliver Kahn ab. Dessen Gegenüber Jens Lehmann dagegen konnte mehrere Bälle nicht festhalten, verursachte so das Gegentor und zeigte später noch seine Spezialität: Er schoss den ungeschlachten Jancker an, kassierte aber mit Glück kein weiteres Tor.
Ob und in wessen Glas Lattek nach dem Spiel weinte, wurde nicht bekannt. Vielleicht verrät er es in der Welt am Sonntag – seine Kolumne dort hat Lattek für die fünf Spiele als Dortmunder Trainer nicht storniert. Am Tag des Spiels gegen Bayern München füllte er die WamS mit einem Bericht über „meine ersten neun turbulenten Tage als Coach von Borussia Dortmund“. Lattek erwies sich als dankbarer Arbeitnehmer: „Ich habe in dieser Woche nicht nur die neue Kleidungskollektion des Borussia-Sponsors s.Oliver bekommen, sondern auch viereinhalb Stunden mit Präsident Dr. Gerd Niebaum zusammengesessen und wirklich eine Wellenlänge mit ihm gefunden.“ Genau dafür zahlt Niebaum eine Million Mark an Lattek: dass der Mann ihn öffentlich „Präsident Dr. Gerd“ nennt und gutes Wetter macht, von „Aufbruchstimmung“ und „einer Art Urknall“ fabuliert und davon, dass es „bergauf geht“. Lautes Pfeifen im dunklen Keller verrät volle Hosen.
Damit das noch mehr auffällt, verklärte sich Udo Lattek zur göttlichen Absolutheit: Seine frühere Kritik am Verein sei „absolut richtig“ gewesen; solcher Wahn kann im innigen Dialog mit Absolut Vodka durchaus entstehen. Und sich verfestigen: „Auch bei Bobic“, schrieb Lattek, „bin ich mir ganz sicher, dass sich die Rückendeckung durch den Trainer auszahlen wird.“ So geht es zu bei Borussia Dortmund: Der Präsident glaubt an den Messias, und der Messias glaubt an Fredi Bobic – der wiederum wie ein Osterhase spielt. Wenn sie so weitermachen mit dem religiösen Eifer in Dortmund, werden sie noch einen Agnostiker dazu bringen, an den guten alten Gott zu glauben, nur aus Protest.
Borussia Dortmund: Lehmännlein – Reuter – Evanilson, Nijhuis, Dede – Stevic, Addo (84. Ikpeba), Möller, Barbarez – Reina (67. Ricken), Bobic Bayern München: Kahn - Babbel, Andersson, Linke, Tarnat - Fink, Jeremies, Lizarazu - Salihamidzic (90. Wiesinger), Jancker (88. Santa Cruz), SergioZuschauer: 68.600Tor: 0:1 Salihamidzic (30.)
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