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Die Commune findet ihren Ort

Die französische Revolution wird offiziell anerkannt – nach 129 Jahren. Jetzt gibt es auch einen Place de la Commune. Im Mai 1871 standen dort die Barrikaden

PARIS taz ■ Die Revolution begann mit der Kirschblüte. Während 72 Tagen im Frühling des Jahres 1871 stellten die „Communards“ Paris auf den Kopf. Richteten Gratisschulen ein, gaben Ausländern das Wahlrecht, dekretierten gleichen Lohn für Frauen und stürzten die Säule auf der Place Vendôme, die in der Statue des verhassten Napoleon I. gipfelte. Das Volk war mit ihnen. Doch militärisch konnten sie gegen die Preußen, die östlich der Stadt lagerten, und gegen die französische Soldateska, die sich nach Versailles zurückgezogen hatte, nichts ausrichten. Am 28. Mai endete das soziale Experiment in einem Blutbad. Die „Versaillais“ massakrierten 35.000 bis 40.000 Menschen, schickten ebenso viele in Haft und Verbannung.

129 Jahre danach erlebt jene Revolution in diesem Frühling in Paris eine späte offizielle Rehabilitierung. Obwohl kein runder Geburtstag ansteht, gibt es zwei große Ausstellungen, mehrere neue Bücher, einen Sechs-Stunden-Film und seit letzter Woche sogar eine „Place de la Commune“ im 13. Arrondissement.

„Ich bin ein Erbe der Commune“, sprach der neogaullistische Bürgermeister von Paris, Jean Tiberi, als er am Mittwoch die Gedenkplakette auf dem dreieckigen kleinen Platz enthüllte, an dem im Mai 1871 Barrikaden aus Sandsäcken und Pflastersteinen standen. Die Volk, das mit roten Fahnen, dem Symbol der „Commune“, zu dem Festakt gekommen war, pfiff ihn aus. „Versaillais“, schrie eine junge Frau. Doch Tiberi redete unbeirrt weiter zum nächsten Affront. Er nannte den Chef der französischen Militärs, Adolphe Thiers, einen „Propheten“, der die Massaker nicht gewollt habe. Tiberi ernannte den kleinen Platz zum gemeinsamen Erinnerungsort für Täter und Opfer.

Das war zu viel für das Volk des Jahres 2000, das trotz der ungünstigen Uhrzeit mitten in der Arbeitszeit den Weg zum Festakt gefunden hatte. Es stimmte die „Internationale“ an. Mit erhobenen Fäusten sang es jenes Lied, das schon in der „Commune“ in Paris erscholl. Ein paar Konservative, die ihrerseits Bürgermeister Tiberi loswerden wollen, sangen mit.

Der „Freundskreis der Commune“, in dem seit dem vorletzten Jahrhundert Anarchisten, Kommunisten und andere Weltverbesserer in seltener Eintracht gemeinsame Gedächtnispflege betreiben und alljährlich im Mai zu dem letzten Schlachtort der Communards auf dem Friedhof Père Lachaise pilgern, hatte ausdrücklich auf einen eigenen Platz für die „Commune“ gedrängt. Schließlich verfügt Paris längst über Dutzende von Straßen, die konterrevolutionäre Militärs ehren.

Fast jede alteingesessene Pariser Familie kann Geschichten aus der „Commune“ erzählen – als die Urgroßeltern während der Belagerung „Ratten essen mussten“. Fast jeder Pariser bekommt feuchte Augen, wenn er das Lied „Le temps des cerises“ hört. Sämtliche linken Bewegungen Frankreichs, von der Volksfrontregierung von 1936 über die kommunistische Résistance und die Gewerkschaften bis hin zur Studentenbewegung von 1968 beriefen sich auf die „Commune“. Aber die offizielle französische Geschichtsschreibung und die Schulbücher haben sie weitgehend ignoriert.

Selbst die Fotos aus der „Commune“ – erste Livereportagen der französischen Geschichte – gerieten in Vergessenheit. Die Bilder von Barrikadenbauern, die unbeweglich in die Kamera blicken, und von den Toten in Holzsärgen waren in den Jahrzehnten nach der „Commune“ verboten. Als „Märtyrerbilder“ wurden sie heimlich weitergegeben, während die offizielle Propaganda Fotomontagen in Umlauf brachte. Sie zeigten den „Vandalismus der Revolutionäre“.

Die parteiübergreifende Rückbesinnung auf die „Commune“ begann erst, als Anfang der 90er-Jahre der real existierende Sozialismus von der Landkarte verschwand. Seither registriert auch der in Ehren ergraute „Freundeskreis der Commune“ Zulauf von jüngeren Mitgliedern. Eine Pariserin auf der neu benannten „Place de la Commune“ erklärt diese Renaissance nüchtern: „Es war die perfekte Revolution – sie wurde massakriert.“

DOROTHEA HAHN

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