: Weichenstellung ins Chaos
Privatisierung at its worst: In Schweden droht der Schienenverkehr auf zentralen Strecken auszufallen, nachdem der Staat die Bahn an einen Bankrotteur verkauft hat. Jetzt hat die Regierung weitere Vorhaben erst einmal gestoppt
aus StockholmREINHARD WOLFF
Noch nicht einmal fünf Monate ist es her, dass die staatliche schwedische Bahn Svenska Järnvägar (SJ) die meisten ihrer Schilder von den Bahnhöfen abschraubte. Das Netz in Nordschweden wurde an die Tågkompaniet privatisiert, an der Westküste übernahm die Sydvästen AB die Strecken zwischen der zweit- und der drittgrößten Stadt Schwedens, Göteborg und Malmö. Letztere hat bereits abgewirtschaftet. Am Donnerstag letzter Woche meldete sie Konkurs an. Ab kommenden Freitag will sie den Zugbetrieb einstellen. Die Begründung: Man habe sich bei der Kalkulation verrechnet.
Geringere Einnahmen als die SJ kann die Sydvästen dabei nicht verbucht haben, da Passagieraufkommen und Preise in etwa gleich geblieben waren. Auch höhere Ausgaben gab es nicht, im Gegenteil: Die neuen Bahnherren hatten sowohl das Waggonmaterial geschrumpft als auch beim Personal kräftig eingespart. Was offenbar nicht aufging, waren also zu hoch geschraubte Gewinnerwartungen. Dabei stehen hinter Sydvästen AB keine blauäugigen Modellbahnidealisten, sondern der schwedische Privatbahnpionier BK Tåg, die britische GoAhead und die französische Via G.T.I.
Jetzt muss die Regierung die vorschnell aufs Abstellgleis geschobene SJ mit einem steuerfinanzierten Notauftrag wieder auf die Strecke bringen. Für die Bahnreisenden wird diese zweite Umstellung binnen weniger Monate neue Probleme bedeuten. Dabei war schon die erste keineswegs glimpflich abgelaufen: Das als bahnbrechend angekündigte Fahrkarten-Computerbuchungssystem funktionierte nicht, Verspätungen waren noch häufiger und langwieriger als zu SJ-Zeiten. Reisen mussten die Passagiere im Ölsardinen-Milieu, da sich die Privatprofis irgendwie mit dem Wagenmaterial verrechnet hatten und nun monatelang in ganz Europa kein mietbarer Personenwaggon als Verstärkung aufzutreiben war – jedenfalls nicht zu den Preisen, die man bei Sydvästen AB zu bezahlen bereit war, darf man vermuten.
Nicht nur an der Westküste endete die Bahnprivatisierung im Chaos. Auch in Stockholm, wo das gleiche Konsortium aus BK-Tåg, GoAhead und Via G.T.I. zum Jahreswechsel den Nahverkehr übernommen hat, sehnt man sich inzwischen nach den früher so verfluchten staatsgelenkten Zeiten des Öffentlichen Personennahverkehrs zurück. Waren die KundInnen bei der U-Bahn an Verspätungen und stundenlange Zugausfälle gewöhnt, hatte doch zumindest der S-Bahn-Verkehr bis Neujahr funktioniert. Praktisch mit dem Morgengrauen des neuen Jahrtausends war Schluss damit. Der neue private Betreiber stand nicht nur mit einem unzureichenden Fuhrpark, sondern auch mit zu wenig Leuten da. Eine Folge von Fehlkalkulationen und falschen Hoffnungen – so verweigerten viele LokführerInnen den Wechsel zur Privatbahn wegen schlechterer Pensionsbedingungen und verschärfter Arbeitszeitregelungen. Als Folge fiel monatelang fast jeder zweite Zug aus, Strecken mussten gekürzt, gestrichen oder durch Buspendelverkehr ersetzt werden. Auch über die Osterfeiertage gab es lediglich einen Notfahrplan.
Kein Wunder, dass den PlanerInnen im schwedischen Verkehrsministerium mittlerweile aufgegangen ist, dass sie die Liberalisierung nicht so durchführen können wie bisher. So gibt es vorerst einen Stopp für weitere Privatisierungen – und Überlegungen, das bislang angewandte Auktionsmodell wieder zu verwerfen. Statt an den Meistbietenden losgeschlagen zu werden, soll „der Personenverkehr unter kontrollierten Formen entwickelt“ werden. Man gesteht ein, dass „der Übergang zu neuen Operateuren jedenfalls zu für die Reisenden unakzeptablen Schwierigkeiten geführt hat“. Neue Konzepte gibt es schon: „Will man wirklich ernsthaft privatisieren“, so Nils Bruzelius, Professor der Nationalökonomie und Transportexperte, „wäre es besser, private Eigentümer an den öffentlich-rechtlichen Gesellschaften zu beteiligen.“
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