: Religiöser Dissens
Das Böse als Idee in Truppenstärke: „Deicide“ und sieben andere Gottesgegner in der Markthalle ■ Von Oliver Rohlf
„Call me Legion for we are many.“ Der da so salbungsvoll von sich und den Seinen kündet, ist niemand geringeres als The Fallen Angel himself. Vor dem Sturz noch Luzifer, der Lichtbringer, genannt, trägt er nach der Rebellion den Namen Satan und ist überhaupt der grauenvolle Grund, warum das Zweite Testament zur spannendsten Lektüre der westlichen Welt zählt und sich ewiges Lesen hier lohnt. Und Satan sagt, er werde nicht allein kommen, am Tag der Tage, am Fuße des Berges Armageddon, um sich ein letztes Mal gegen Gott zu stellen.
Denn das Böse ist kein Einzelfall, sondern eher eine Idee im Truppenformat, deren Zielsetzung klar ist: Das Lamm Gottes endgültig zur Schlachtbank zu bringen. In der Bibel, so steht es geschrieben, geht das Ganze noch einmal gut aus und findet sein Happy End in einer Welt der Liebe, des Lichts und des Geistes. Das würden die Männer der ewig jungen Death Metal-Band Deicide so sicher nicht unterschreiben.
Zum Ausdruck ihrer religiösen Dissens haben sich die vier langhaarigen Hünen bereits vor gut zehn Jahren zum Viererblock versammelt und machen seitdem von ihrem popkulturellen Vetorecht Gebrauch, das Ende der Welt bis zur Entscheidungsschlacht offen zu halten. Und da es auch für Deicide angenehmer ist, zu glauben, mit dieser Vorstellung nicht allein zu sein, haben Glen Benton und seine dreiköpfige Horde eines ihrer Alben „Legion“ getauft, das man auch heute noch zu einem der zehn besten Death Metal-Veröffentlichungen überhaupt rechnen muss.
Wer auf das Programm des diesjährigen „No Mercy“-Festivals in der Markthalle schaut, wird den amerikanischen Berufs-Blasphemikern zumindest zahlenmäßig Recht geben müssen. Deicide sowie sieben weitere Bands – und in deren düsteren Schtten unzählige schaurige Mitreisende – haben sich in diesem Jahr zu einem antichristlichen Tour-Tross von bislang ungekannter Größe zusammengeschlossen. Allesamt Musiker, die sich in ihren Laufbahnen schon das eine oder andere Mal erfolgreich als lautmalerischer Gottesgegner hervorgetan haben und wissen, wovon sie singen.
Da wären zum Beispiel Immortal aus dem norwegischen Bergen. Drei Angemalte, die vor einiger Zeit noch zur Crème der nordischen Raserei zählten, sich ersten Hörproben ihres aktuellen Albums „Damned In Black“ zur Folge aber endgültig in der Liga der Comic-Metaller eingenistet haben. Das mag zwar manch einer schade finden, ist aber leider wahr.
Cannibal Corpse hingegen traten stets weniger als versierte Kirchen-Kritiker denn als detailverliebte Splatter-Schlachtmeister an die Öffentlichkeit. Zielgerichtet waren die Körperattacken des Quintetts aus Buffalo indes nie. Gerichtet wurde stets, wer im Weg stand. Seien es Frauen, Männer oder eben Glaubensvertreter. Das brachte vor allem Probleme mit diversen Jugendschutzbehörden, die wiederum eine Unmenge an Symphatiebekundungen seitens der Fans und ihrer Lieblingsfachblätter nach sich zogen. Splatter, so hieß es unisono, sei im Zweifelsfalle eine Sache des individuellen Rechts auf Unterhaltung und könne zuweilen auch gesellschaftskritische Momente in sich tragen.
Marduk und Dark Funeral haben einiges gemein: Beide Bands kommen aus Schweden, tragen seit Jahren das handelsübliche Warpaint-Make-Up und machen eine Musik, die immer zwischen den Eckpfeilern supersimpel und superschnell hin- und herflitzt. Dark Funeral möchten auf ihrer neuen Mini-CD zeigen, wie man den Kindern Satan beibringt, Marduk nennen ihr stahlhaltiges Unternehmen „Panzerdivision Marduk“. Beide recht ähnlich in Ansatz und Wirkung: man wird einfach überrollt.
Mit Vader, den neuen Hate Eternal und, nach einige Abstrichen, auch Vomitoy werden diesen Abend drei Bands eröffnen, die das Banner des „Old School“ im Herzen tragen. Alle Gruppen lieben die Blastbeats wie ihren eigenen Kinder, sagen auch zum Thrash Metal nicht Nein und werden für die richtige Atmosphäre für die nachfolgenden ketzerischen Kleingarten-Combos sorgen. Halt alles eine Sache der Glaubens-Gemeinschaft.
heute, 18.30 Uhr, Markthalle
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