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„Wir sind die Größten!“

Der Friedrichstadtpalast ist Berlins erfolgreichstes Subventionstheater. Trotz aller Kritiken. Ein Besuch in den Katakomben des Tingeltangel

von JAN BRANDT

Es ist Mittwoch, kurz vor 20 Uhr. Berlin kommt allmählich zur Ruhe. Nur in der Friedrichstraße vor dem Friedrichstadtpalast herrscht ein Betrieb wie beim Winterschlussverkauf. Auf dem schmalen Parkstreifen versuchen Busse aus Italien, Frankreich und Ostfriesland einen Platz zu finden. Es dauert eine Weile, bis alle ausgestiegen sind.

„Ist das schön“, sagt Frau Janssen, als sie den Abendhimmel über der Bauklotzfassade mit Zuckerbäckerzierrat erblickt. Mit ihrem Mann und einer Reisegruppe aus Wittmund macht sie fünf Tage Urlaub in Berlin. „Hier spürt man noch die Geschichte“, sagt Herr Janssen. Er muss es wissen. Schließlich ist er nicht mehr der Jüngste und hat „alles miterlebt“. Zum Beispiel wie sein Lieblingspolitiker Adenauer den Wiederaufbau ins Rollen gebracht hat und ein anderer berühmter Mann sagte: „Wir sind ein Volk.“ „Wer war das noch gleich?“, fragt er sich, aber seine Frau lässt ihn nicht zu Ende denken, sie will endlich was erleben. Im Friedrichstadtpalast. Und so mischen sie sich unter die Leute, die vor dem Eingang Schlange stehen.

Eine Frau hält ein Pappschild hoch: 1 Karte, 10. Reihe, 50 Mark. Das Geld wird sie an diesem Abend nicht bekommen. Denn im Friedrichstadtpalast gibt es noch freie billigere Plätze. Im dreistöckigen Foyer wünscht die Morgenpost einen guten Abend. Zwei goldene Hände tragen die Welt. Ein Springbrunnen plätschert. Dann ertönt die Schulglocke, und alle rennen in den Klassenraum. „Elements“ steht auf dem Stundenplan. Der Stoff ist sehr einfach. Es geht wie immer um Gut und Böse, Liebe und Hass, Leben und Tod. Präsentiert von einer straff inszenierten Tanzrevue, drei Sängern und einigen russischen Weltklasseartisten.

Die Musik wird vom Palast-Orchester live eingespielt. Synthiesound und Nebelschwaden mit Lasershow lassen den Friedrichstadtpalast zur großen Erlebnis-disko im 80s-Style werden. Natürlich darf die legendäre Girl-Reihe nicht fehlen. Ein bisschen Varieté muss sein. Beängstigend synchron wirft das „Elite-Corps paramilitärischer Tanz-Perfektion“ (Spiegel) die Beine in die Luft.

Auf der Vorbühne wird wahlweise ein Wasserbecken mit Fontäne hochgefahren oder eine Lichtbühne. Nur die Eislauffläche bleibt diesmal im Keller. Dafür werden mit dem als „Weltneuheit“ angepriesenen 3D-Verfahren Erdkugeln und Raumschiffe auf die Leinwand projiziert. Die bloße Präsentation der Bühnenaufbauten reicht schon aus, um das Publikum zum Klatschen zu bringen. „Elements“ ist seit dem Start vor über einem Jahr die erfolgreichste Revue im Friedrichstadtpalast. 300 Vorstellungen begeisterten bisher 500.000 Besucher. Und auch heute, an einem ganz normalen Wochentag, ist der Saal fast voll.

Intendant Alexander Iljinskij ist zufrieden. Mehr als 60 Prozent des Etats spielt das Haus selber ein. Der Rest, etwa 17 Millionen Mark, kommen vom Land Berlin. Damit steht die Friedrichstadtpalast GmbH weitaus besser da als etwa das Theater des Westens oder die Deutsche Oper. Das ist Herr Janssen egal. Die perfekt inszenierte Show beginnt ihn zu langweilen. „Im Prinzip ist das immer das Gleiche“, sagt er und schiebt seine Brille zurecht.

Aber zum Schluss passiert dann doch noch mal was: Die russiche Artistentruppe Sarychev schwebt am Hochtrapez mehrere Meter über der Bühne, die kleine Elena wirbelt durch die Luft, die Zuschauer halten den Atem an, bis Elena sicher in den Armen ihrer Kollegen landet. Frau Janssen ruft „Bravo“ und erhebt sich halb aus ihrem Sitz. „Das gibt es bei uns nicht“, sagt sie.

Während am nächsten Morgen die Janssens schon wieder in ihrem Bus sitzen, stehen vor dem Bühneneingang des Friedrichstadtpalastes einige junge Frauen mit großen Taschen. Eine schlurft an ihnen vorbei und hält sich den Rücken. Um 10 Uhr beginnt das Training für die TänzerInnen des Palastballetts. Sie haben wieder einen langen Tag vor sich. Nach dem Training steht die „Umstudierungsprobe“ an. Bei dem 68-köpfigen Ballett kommt es fast täglich zu Ausfällen, die ersetzt werden müssen. „Das ist ein harter Job“, sagt Günter Strohbach, Pressesprecher des Friedrichstadtpalastes. Seine Führung durch die Katakomben des Hauses vorbei an Werkstätten, Bühnen und Büros macht den Aufwand deutlich, mit dem eine so scheinbar seichte Show wie „Elements“ Abend für Abend präsentiert wird, ohne dass den Darstellern die Müdigkeit oder Routine anzumerken ist. Und begeistert schwärmt Günter Stohbach von der Bühnentechnik: „Alles unverändert DDR. Original 1984.“ Nur in Licht- und Toneffekte habe man nach der Wende investiert.

Anfang der 80er Jahre musste der alte Friedrichstadtpalast neben dem Berliner Ensemble abgerissen werden. Eine starke Absenkung des Grundwassers legte die Holzpfähle frei, auf denen der 70 Jahre alte Bau stand. Risse machten sich bemerkbar, das Gebäude, in dem einst Claire Waldorff, Louis Armstrong oder Josephine Baker aufgetreten waren, drohte einzustürzen, und der Eiserne Vorhang, wie die Feuerschutzwand genannt wird, hatte sich hoffnungslos verkantet. „Da hat man sich in der Welt umgeschaut und das Modernste errichtet, was man sich denken kann“, sagt Günter Strohbach stolz, der seit sechs Jahren im neuen Friedrichstadtpalast arbeitet. Von den über 800 Mitarbeitern vor der Wende sind gerade mal 300 übriggeblieben, darunter das Orchester, das Ballett, Bühnenbildner und Techniker.

Einer davon ist Ragnar Storch. Er ist für die Laserspezialeffekte zuständig. In seinem Raum, von dem er den ganzen Saal überblicken kann, hängt eine Lichterkette mit Haribobären „Licht splittet ja uff“, erklärt er, und: „Ich betone immer wieder gerne: Wir sind doch die Größten.“

Der Friedrichstadtpalast will Unterhaltung mit Anspruch liefern. „Über das Niveau des Revuetheaters lässt sich natürlich streiten“, sagt Strohbach, „aber der Erfolg gibt uns Recht.“ Und unter den 1.500 Gästen jeden Abend sind wohl auch welche mit Hochschulabschluss. Das geben laut Strohbach die Wenigsten zu, „aber wir haben auch Professoren, die sich gerne fallen lassen wollen“.

An der neuen Show „Berlin Revue“, die im September startet, wird noch fieberhaft gearbeitet. 100 Jahre Berlin sollen thematisch abgedeckt werden: Von Zille über Grosz bis zu Mauerfall und Love Parade ist alles dabei. Mit Tanz, Musik und ähnlich gewaltigen Bühnenaufbauten wie bei „Elements“. „Die Shows sind natürlich ironisch. So ein bisschen mit Augenzwinkern“, sagt Günter Strohbach grinsend. Allerdings ohne mit den Augen zu zwinkern.

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