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Die NPD will es nicht gewesen sein

Thüringens Innenminister fordert das Verbot der rechtsextremistischen Partei. Die hat sich längst von dem Tatverdächtigen distanziert

von NICOLE MASCHLER und NICK REIMER

Es ist knapp zwei Monate her, dass der thüringische Innenminister sein neues Polizeikonzept gegen Extremisten vorstellte. „Wir wollen den rechtsradikalen Sumpf allmählich trockenlegen“, formulierte Christian Köckert (CDU) sein Ziel. Erreichen will er das durch permanenten Überwachungs- und Verfolgungsdruck, durch „systematische Verunsicherung“. Bei der Konzeptvorstellung warnte Köckert im März aber ausdrücklich davor, „auf dem linken Auge blind zu sein“.

Nicht verwunderlich scheint daher, dass die Polizei nach dem Anschlag auf die Erfurter Synagoge am Gründonnerstag auch im linksextremen Spektrum ermittelte. „Die Art, wie der Anschlag geführt wurde, zeigt, dass er nicht ernst gemeint war“, begründete gestern Bernd Edelmann, Sprecher des Innenministeriums, den Verdacht gegenüber der taz. Der Molotow-Cocktail sei so dilettantisch gebaut worden, dass er sich noch in der Luft selbst zerlegte. Zudem wurde der Brandsatz von dem oder den Tätern gegen die steinerne, kaum brennbare Rückfront der Synagoge geschleudert.

Auch das Bekennerschreiben lieferte laut ermittelnder Staatsanwältin Silke Becker Anhaltspunkte für linksextreme Täter. „Diese Aktion basiert auf rein antisemitischer Basis“, hieß es in dem Brief – nach Beckers Einschätzung alles andere als rechtsextremes Vokabular. Unterzeichnet ist das Schreiben mit „Die Scheitelträger“ – eine unter Linken kursierende Beschimpfung von Rechtsradikalen.

Ministeriumssprecher Edelmann erklärte, dass der seit Montag in Untersuchungshaft sitzende Tatverdächtige als kaufmännischer Lehrling möglicherweise ein „anderes sprachliches Niveau“ als die üblichen Neonazis habe. Inzwischen konzentrieren sich die Ermittlungen „deutlich auf die rechte Szene“, so Becker. Die Staatsanwaltschaft geht nicht von einem Einzeltäter aus. Indiz dafür sei, dass sich der 18-Jährige aus Gotha bislang nicht zum Tathergang äußern will.

In der Wohnung des Mannes fand die Polizei einen NPD-Ausweis. Allerdings erklärte die NPD gestern prompt per Pressemitteilung, der Tatverdächtige sei schon im vergangenen Jahr aus der Partei ausgeschlossen worden. Nach Erkenntnissen der Ermittler ist der mehrfach Vorbestrafte Mitglied des „Bundes Deutscher Patrioten“. Diese Abspaltung der NPD wurde im Januar 1999 von dem früheren NPD-Landesvorsitzenden Frank Golkowski in Gotha gegründet. Ihr sollen 50 Rechtsextreme angehören.

Die gesamte rechtsextreme Szene Thüringens schätzt der Verfassungsschutz auf 1.520 Personen – ein Zuwachs von 170 gegenüber 1998. Während Republikaner und DVU deutlich an Einfluss verlieren, baut die NPD ihre Stellung als Sammelbecken des gewalttätigen Neonazismus aus. Dieser war in der Vergangenheit stark zersplittert.

Die NPD ist mit 260 überwiegend jugendlichen Mitgliedern „in Besorgnis erregender Weise eine Jugendpartei geworden“, so Verfassungsschutzpräsident Helmut Roewer. Verantwortlich für diese Entwicklung ist vor allem die Unterwanderung der neonazistischen Partei durch den militanten „Thüringer Heimatschutzbund“. Die Kameradschaft, Anfang der Neunzigerjahre als „Anti-Antifa“ gegründet, stellt mittlerweile den Landessprecher der NPD und vier von elf Kreisvorsitzenden.

Die meisten der im soeben erschienenen Verfassungsschutzbericht aufgelisteten rechtsextremen Straftaten gehen aber auch in Thüringen auf die neonazistische Skin-Szene zurück. Ihr wichtigster Kristallisationspunkt sind die Rechtsrock-Konzerte. „Diese Musikszene hat die Bereitschaft zu rechtsextremer Gewalt wesentlich erhöht“, sagt Ministeriumssprecher Edelmann.

Köckerts Konzept zur Extremismusbekämpfung kann hier einen ersten Erfolg verbuchen. Fanden 1999 noch insgesamt elf Neonazi-Skinhead-Konzerte in Thüringen statt, so wurden in diesem Jahr bislang alle unterbunden. Der linke Extremismus dagegen ist in diesem Jahr für zwei Anschläge auf das Gebäude des Innenministeriums verantwortlich. Einmal flogen Farbbeutel, das andere Mal ein Molotow-Cocktail. Die Anhängerschaft der Autonomen wird auf 350 geschätzt. Edelmann: „Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes planen die Thüringer Autonomen Aktionen auf der Expo.“

Innenminister Köckert sprach sich gestern für ein Verbot der rechtsextremen NPD aus. Ein entsprechender Erlass sei jedoch Sache des Bundes, erklärte er. Allerdings räumten die anderen ostdeutschen Innenministerien dem Vorstoß gestern gegenüber der taz keine Erfolgschance ein.

Erfurts Oberbürgermeister Manfred Ruge (CDU) hat unterdessen gefordert, die jüdischen Einrichtungen in der Landeshauptstadt durch ein besonderes Sicherheitskonzept zu schützen.

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