Eine Familie mit Biss

Ein Berliner Pitbull-Halter mobilisiert gegen das geplante Zuchtverbot von Kampfhunden: Damit die Quote stimmt, wollte der TV-Journalist die Tiere mit gelben Davidsternen durch die Stadt schicken. Auf die Publicity folgte eine Entschuldigung

von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Am Klingelschild stehen drei Namen: Daniel Reynés, Susanne Retter und Pitbull „Ginger“. Der 27-jährige Fernsehjournalist und seine Freundin, eine 23-jährige Arzthelferin, leben mit ihrer vierjährigen Kampfhündin in einer geräumigen Altbauwohnung in Berlin-Charlottenburg, als wäre sie ihr Kind. Der 33-Kilo-Pitbull, den Reynés als „aktives Tier“ beschreibt, „das alles mitmacht“, schläft jede Nacht im Bett des Paares. Selbst wenn sie Sex haben, ist das Tier dabei. Begründung: „Hunde sind Rudeltiere und nicht gewohnt, ausgestoßen zu werden.“ Zum Geburtstag und zu Weihnachten bekommt die Hündin, die nach Angaben von Reynés etwa 200 Worte versteht, Geschenke – verpackt, versteht sich. Sitzen Herrchen und Frauchen am Abendbrottisch und gucken Fernsehen, nimmt auch „Ginger“ auf einem Stuhl Platz und lauscht, wenn Politiker wie Innenminister Schily von Kampfhunden als „gefährlichen Waffen“ sprechen.

Bis zum vergangenen Dienstag war die Welt der drei in Ordnung, auch wenn sie sich hin und wieder gegen die Gleichsetzung ihres Hundes mit einer Kettensäge oder einer Magnum zur Wehr setzen mussten. Zwar beschäftigt sich mittlerweile die Innenministerkonferenz mit dem Thema, um eine bundeseinheitliche Regelung zu finden, doch ein Ende der Diskussion ist nicht abzusehen. Und Bayern, wo es schon seit längerem ein Haltungs- und Zuchtverbot gibt, oder Thüringen, wo noch in diesem Monat ein Zuchtverbot eingführt werden soll, sind weit weg. Auch die Regelungen in Hamburg und Brandenburg, wo Hundeführerschein und polizeiliches Führungszeugnis verlangt werden, tangierte sie bisher nicht. Dass Reynés, der einen deutschen und einen französischen Pass hat, seine Großeltern in Frankreich, wo es schon seit Jahren ein Zuchtverbot gibt, nur ohne „Ginger“ besuchen kann, nimmt er zähneknirschend in Kauf.

Als aber der Berliner Senat einen Gesetzentwurf für ein landesweites Haltungs- und Zuchtverbot für Kampfhunde inklusive einer Liste verbotener Hunderassen vorlegte, auf der auch Pitbulls stehen, vergaß Herrchen seine gute Erziehung. Er rief im Internet zu einer „Demo gegen die Kampfhund-Lüge“ auf. Weil Reynés mehrere Jahre fürs Fernsehen gearbeitet hat – er war unter anderem stellvertretender Chefredakteur für „Vera am Mittag“, Reporter beim Frühstücksfernsehen und hat den ORF als Consultant beraten –, weiß er, dass nur bad news good news sind. Deshalb schrieb er in dem Aufruf, dass die Hunde „als Ausdruck ihrer Hilflosigkeit einen gelben Davidstern am Halsband tragen werden. Die internationale Presse wird sich an diesen Bildern erfreuen.“

Als Ideengeber führt er eine ähnliche Demonstration an, die es in den Niederlanden, wo vor einigen Jahren ein Zuchtverbot für Kampfhunde erlassen wurde, gegeben haben soll. Zwar hebt seine Freundin jede Zeitungsnotiz auf, in der es um Kampfhunde geht. Doch ausgerechnet die mit der vermeintlichen Davidstern-Demonstration hat sie nicht. Dass es im Niederländischen keinen Begriff für Kampfhund gebe, wie Reynés behauptet, stimmt zwar auch nicht. Aber was soll’s. Wenn die Emotionen hochschlagen, können Fakten schon mal ins Hintertreffen geraten.

Ein durchgeknallter Spinner ist Reynés nicht. Er gehört auch nicht zu den Kampfhund-Haltern aus der Prollszene, die ihre Tiere nicht unter Kontrolle haben. Er selbst beschreibt sich als einer, der „kein Schäferhunddeutscher“ sein will. Weil er „was Individuelles“ haben wollte und sich vor einigen Jahren in die Bullterrierhündin einer Bekannten „verliebte“, musste es ein Pitbull sein. Wohl hat er aber aus Sorge um seinen Hund die Relationen verloren und die Warnung ehemaliger Kollegen, sich den Ruf zu verderben, in den Wind geschlagen. Der 27-Jährige, der älter wirkt, setzt ganz bewusst auf die schon vorhandenen Emotionen und setzt noch eins drauf. Er macht genau das, wogegen er sich angeblich beim Fernsehen gewehrt hat: reißerisch zu sein. Senden die Programme die immergleichen Bilder zähnefletschender Ungeheuer, kontert er eben mit dem Vergleich der Judenvernichtung. Hauptsache, die Quote stimmt.

Natürlich hat es geklappt. Im Handumdrehen hatten er, seine Freundin und ein Hundezüchter aus Niedersachsen, der den Aufruf tatkräftig unterstützt, die gewünschte Aufmerksamkeit. Der Präsident des Zentralrats der Juden, Paul Spiegel, sprach von einer „widerlichen Geschmacklosigkeit“. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama, traf den Nagel auf den Kopf: „Die haben, wie der Berliner sagt, nicht alle Latten am Zaun“.

Nachdem das Telefon den ganzen Tag nicht stillstand und „Ginger“ schon ganz ermüdet war von den Presseterminen, verpasste Reynés dem Aufruf quasi einen Maulkorb. „Das war nicht so schön, dass es nur um den Davidstern ging“, sagt er, die Unschuld in Person. „Ich als Otto Normalverbraucher hätte nicht mit solchen Reaktionen gerechnet“, ergänzt seine Freundin.

Pflichtschuldig verschickten sie am Dienstag abend eine „öffentliche Entschuldigung“, in der sie sich „in aller Form bei den jüdischen Überlebenden des nationalsozialistischen Terrors und den Angehörigen der Ermordeten entschuldigen. Wir wollten und wollen die Opfer und Überlebenden des Holocaust weder beleidigen noch verunglimpfen.“ Kein Hund werde einen gelben Davidstern bei der Demonstration tragen. „Wir haben mit dem Vorschlag, die Hunde mit einem Davidstern zu versehen, einen Fehler gemacht.“ Nun sollen die Hunde Ende Mai mit einem „K“ für Kampfhund vom Brandenburger Tor zum Roten Rathaus laufen.

Reynés betont, dass es nicht die Androhung rechtlicher Schritte war, die ihn zum Einlenken bewegt habe. „Wir müssen die Hundebesitzer unter einen Hut bringen und wollen keinem Menschen schaden.“ Ansonsten schiebt er dem TV-Metier, aus dem er im vergangenen Jahr ausgestiegen ist, um für Online-Zeitschriften zu schreiben, die Schuld in die Schuhe: „In der Branche muss immer mehr passieren, um eine Geschichte zu sein.“ Wer geht schon zu einer Hundedemo, bei der lediglich auf Transparenten gefordert wird, die bestehende Hundeverordnung einzuhalten und zu kontrollieren. Auch mit der Behauptung, dass die meisten Beißattacken auf das falsche Verhalten von Menschen zurückzuführen sind, lockt man keine Fernsehkamera hinter dem Ofen hervor.

An dem Vergleich mit der Judenvernichtung hält Reynés immer noch fest. Irgendwie. „Wenn man davon ausgeht, dass jedes Lebewesen ein Recht auf Leben hat und man in einem Zeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren eine bestimmte Gattung nicht mehr haben möchte, sehe ich das als Ausrottung“, sagt er. Als ein Hundehalter, dem die Sache mit dem Davidstern „zu lasch“ war, einen Marsch der Halter „in Sträflingsklamotten“ vorschlug, fand das Reynés „völlig okay“.

Nach der öffentlichen Entschuldigung freuten sich Reynés und seine Freundin gestern über bundesweiten Zulauf. Demnächst sollen ein Pressesprecher „nominiert“ werden und ein großes Treffen stattfinden. Ein kompletter Kölner Hundeverein hat bereits sein Kommen angekündigt.

Weil Reynés ahnt, dass die Demo außer einigen Sendeminuten und der Verstärkung bestehender Vorurteile nichts bringen und dass „Ginger“ nicht ewig leben wird, weiß er jetzt schon, was er tun wird, sollte das Gesetz in Berlin tatsächlich durchkommen: „Ich werde mir vorher einen neuen Pitbull zulegen.“ So einfach ist das.